Das Hexen-Amulett (German Edition)
Nägeln brannte. «Sprecht Ihr von Christopher Aretine?»
«Ja.» Lopez schaute ihr in die Augen und sagte mit unverändert ruhiger Stimme: «Es ist an der Zeit, Campion, dass Ihr in alles eingeweiht werdet.» Er nahm einen Schluck Wein und lauschte versonnen auf das Zischen im Kamin, in dem Treibholz brannte, das offenbar noch nicht ganz getrocknet war. Campion hatte schon fast den Eindruck, als spannte er sie absichtlich auf die Folter, doch dann setzte er sein Weinglas behutsam ab und berichtete.
«Ich will mit Christopher Aretine beginnen, mit meinem Freund.» Er starrte auf das Siegel in Campions Händen, als hätte er es nie zuvor gesehen. «Er war ein Mann, von dem es hieß, dass in ganz Europa kein anderer so glanzvoll sei wie er, und es würde mich nicht wundern, wenn diese Behauptung der Wahrheit entsprach. Er war überdies ein Schurke, ein kluger Kopf und Dichter, ein Kämpfer und ein Freund, wie man ihn sich nicht besser wünschen kann.» Lopez stand wieder auf und ging auf die Bücherwand zu. «Er war ein großer Frauenverehrer, Campion, auch wenn er so manchen, die ihn liebten, sehr viel Kummer machte.» Er stieg auf eine Trittleiter und zog aus dem obersten Fach ein Buch heraus. «Kit hatte eine verrückte Art, die sich kaum beschreiben lässt. Angst kannte er wohl nicht. Dafür hatte er umso mehr Stolz. Es wäre ihm im Traum nicht eingefallen, vor anderen die Knie zu beugen. Außerdem schwelte in ihm unsägliche Wut. Manchmal frage ich mich, ob er, von Hass getrieben, nach Liebe suchte.» Lopez hing diesem Gedanken nach, nahm wieder in seinem Sessel Platz und legte das Buch in seinen Schoß.
«Kit Aretine hätte alles haben können, Campion, alles. Der alte König bot ihm sogar die Grafenwürde an, doch Kit schlug sie aus.»
Er legte eine Pause ein und nippte an seinem Wein. Campion beugte sich vor. «Er schlug sie aus?»
Lopez lächelte. «Ihr müsst bedenken, meine Liebe, dass König James vom Schlag eines Sir Grenville Cony war und Liebhaber männlichen Geschlechts bevorzugte. Ich glaube, er machte Kit den Hof. Der aber wollte davon nichts wissen und erwiderte die Gunstbezeugungen des Königs mit einem Gedicht.» Lopez schmunzelte. «Es erschien anonym, doch alle Welt wusste, dass Kit Aretine der Autor war. Ja, er brüstete sich sogar damit. In dem Gedicht beschreibt er den König als ‹schottische Kratzdistel unbestimmten Geschlechts›.» Lopez lachte und freute sich zu sehen, dass Campion einstimmte. «Es war ein schlechtes Gedicht», fuhr der Alte fort und schüttelte den Kopf. «Ein törichter Einfall, denn er konnte nur eines bewirken. Kit landete dort, wo Ihr gewesen seid, im Tower. Alle haben mit seinem Tod gerechnet, denn die öffentliche Beleidigung wog allzu schwer, als dass sie ungesühnt hätte bleiben können. Aber es gelang mir, ihn zu befreien.»
«Das wart Ihr?»
«Ich stand in seiner Schuld, und der König von England schuldete mir einen kleineren Betrag. Den erließ ich ihm und erwirkte im Gegenzug Kits Freilassung. Unter einer Bedingung. Dass er England verließ und nie wieder dorthin zurückkehrte.» Lopez nahm das Buch von seinem Schoß. «Aus dem Dichter – falls er denn jemals einer gewesen sein sollte – wurde ein Soldat. Hier …», er reichte ihr das Buch, «das ist er.»
Das Buch fühlte sich seltsam an. Es schien fast nur aus seinem ledernen Einband zu bestehen. Als sie es aufschlug, stellte Campion fest, dass fast alle Seiten herausgerissen und nur zwei übrig geblieben waren, nämlich die Titelseite – ‹Gedichte etc. über verschiedene Themen. Von Mr Christopher Aretine› – und der Abdruck eines mit Ornamenten umrahmten Holzschnitts, der den Dichter abbildete. Es war ein kleines, lebloses Porträt, das die hochtrabende Miene des Dargestellten aber deutlich zum Ausdruck brachte. Er blickte wie ein Eroberer in die Welt.
Campion blätterte die Titelseite um und entdeckte im Innern des Buchrückens, an dem noch die Fäden der herausgerissenen Seiten klebten, die mit kühnem Schwung geschriebenen Worte: ‹Meinem Freund Mordecai dieses um einiges verbesserte Exemplar. Kit.› Campion schaute Lopez an.
«Hat er die Gedichte eigenhändig herausgerissen?»
«Ja. Und verbrannt. Dort, in diesem Kamin.» Lopez lachte kurz auf und schüttelte dann den Kopf. «Er wusste wohl, dass aus ihm nie ein großer Dichter werden würde, und so hat er das Schreiben ganz aufgegeben. Ihm ist jedoch, wie mir scheint, nie wirklich bewusst gewesen, was für ein
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