Das Hexen-Amulett (German Edition)
Missfallen an dem großen, groben englischen Soldaten für sich behalten.
Campion erholte sich nur langsam. Es dauerte, bis sie ihren Rettern traute und den Gedanken zuließ, tatsächlich in Sicherheit zu sein. Erst nach drei Tagen konnte Marta ihr das Einverständnis entlocken, mit jenem Mann zu sprechen, der ihretwegen aus Amsterdam gekommen war.
Campion war nervös und achtete kaum auf die Kleider, die sie anlegte. Sie war voller Misstrauen gegenüber allen, die mit den Siegeln zu schaffen hatten. Doch Marta Renselinck lachte über ihre Ängste und sagte: «Er ist ein guter, freundlicher Herr. Und jetzt haltet still, damit ich Euch die Haare richten kann.»
Marta führte sie in einen prachtvoll eingerichteten Raum. Die Fenster wiesen zum Fluss, und Campion bemerkte zum ersten Mal, dass sich das Haus ihres Gastgebers am Südufer befand. Auf der rechten Seite war der Tower von London zu sehen, dessen hohe Zinnen von den Strahlen der untergehenden Sonne berührt wurden. Links spannte sich die große Brücke über das Wasser. Der Raum war mit dunklem Holz vertäfelt, auf dem Boden lagen Teppiche aus dem Orient, und vor einer Wand stand ein großes Regal voller Bücher, deren vergoldete Rücken im Kerzenlicht schimmerten. Zaghaft bewegte sie sich auf eines der Fenster zu, die einen herrlichen Ausblick auf die Stadt boten, und schrie plötzlich vor Schreck auf, als aus einer Nische in der Bücherwand ein Schatten auftauchte.
«Habt keine Angst, Dorcas. Ich freue mich, Euch zu sehen.» Der Fremde lächelte. «Endlich.»
Es war ein alter, hagerer Mann, der da in aufrechter Haltung auf sie zukam. Er hatte die schlohweißen Haare aus einem Gesicht zurückgekämmt, das von der Sonne gebräunt und voller Runzeln war. Er trug einen kleinen, sorgfältig gestutzten Spitzbart und Kleider aus schwarzem Samt mit weißer Spitze.
«Mein Name ist Mordecai Lopez. Mir gehört dieses Haus. Es steht Euch zur freien Verfügung», sagte er lächelnd und verbeugte sich höflich. «Wollen wir uns ans Fenster setzen? London zeigt sich von seiner schönsten Seite, wenn die Sonne hinter der Brücke untergeht. Ich glaube, nicht einmal Venedig könnte einem Vergleich standhalten. Darf ich bitten?»
Seine Art war sanft und sehr gesittet. Er bewegte sich so langsam, als fürchtete er, sie durch eine rasche Gebärde verstören zu können. «Mein Volk ist in England nicht willkommen. Ich habe lange Zeit in London gelebt, doch dann wurden wir vertrieben. Also musste ich meinen schönen Besitz aufgeben und konnte nur dieses Haus behalten, unter anderem Namen, versteht sich.» Er lächelte. «Es lässt sich mit dem Boot erreichen, und wenn es sein muss, bin ich schnell wieder verschwunden.» Das Haus lag direkt am Fluss; Campion hörte die Wellen ans Fundament schlagen. Mordecai Lopez bot ihr Wein an. «Vavasour wohnt ständig in diesem Haus und hält seine königstreuen Freunde hier versteckt. Ich fürchte, dass man ihm eines Tages auf die Schliche kommt und das schöne Haus dem Erdboden gleichmacht.» Er reichte ihr einen kostbaren Kelch aus geschliffenem Kristall. «Welchen Eindruck habt Ihr von Vavasour?»
Von Marta wusste sie, dass «Oberst Harries» in Wirklichkeit Vavasour Devorax hieß. Campion war immer noch nervös. Sie schaute ihrem Gegenüber in die Augen und antwortete: «Er scheint Furcht und Schrecken zu verbreiten.»
Lopez lachte. «O ja, meine Liebe, er ist fürwahr beängstigend.»
«Wer ist beängstigend?», meldete sich überraschend eine raue Stimme aus dem Hintergrund. Campion drehte sich erschrocken um und sah den großen, grauhaarigen Oberst in der Tür stehen, den sie nur an der Stimme wiedererkannte. Bart und Lederflicken waren verschwunden, was ihn aber nicht ansehnlicher machte. Den Blick auf sie gerichtet, kam er näher. «Dass Ihr noch einmal die Sonne untergehen seht, war wohl nicht zu erwarten, Miss Slythe? Oder sollte ich Euch Mrs Scammell nennen?»
«Miss Slythe», stammelte sie, wieder von Angst gepackt.
«Sie spricht! Ein Wunder.» Er prostete ihr mit einer Flasche zu. «Ihr solltet mir dankbar sein, Miss Slythe. Ohne mich wäre von Euch nur noch ein Häufchen Asche übrig.»
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. «Ich danke Euch, Sir.»
«So ist es recht.» Vavasour Devorax ließ sich in einen Sessel fallen und streckte, ungeachtet seiner schmutzigen Stiefel, die Beine auf dem Teppich aus. Er grinste Lopez zu und sagte: «Ich bin durch die Straßen dieser einst hübschen Stadt gegangen und bekam allerorts
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