Das Hexen-Amulett (German Edition)
ihn an, fast herausfordernd, wie es schien. Dann zuckte sie mit den Achseln und berichtete ihm mit tonloser, flacher Stimme, was ihr widerfahren war.
Obwohl ihr, wie sie wusste, sehr viel schlimmeres Leid erspart geblieben war, fühlte sie sich geschändet und im tiefsten Inneren verletzt. Sie berichtete Toby von Herveys Übergriffen und ihrer Entblößung vor den Augen des gaffenden Publikums im Gerichtssaal. Während sie sprach, spürte sie wieder die tastenden Hände des Priesters, die beschmutzt hatten, was sie doch rein halten wollte.
Toby sagte nichts und blieb auch stumm, als sie alles gesagt hatte. Sie starrte unverwandt in die Strudel des Flusses, während Toby wortlos ihr nachdenkliches, wunderschönes Profil betrachtete.
Nach einer Weile wandte sie sich ihm zu und flüsterte: «Vavasour Devorax hat eine seltsame Bemerkung gemacht.»
«Was hat er gesagt?», fragte er vorsichtig, und es schien, als spürte er im kalten Wasser einer scheuen Forelle nach.
«Er sagte, jeder Mensch habe ein schreckliches Geheimnis und dieses Geheimnis sei immer im Schlafzimmer zu finden. Das meinte er wirklich so. Mir will das aber nicht einleuchten. Es hieße ja, die Liebe würde in einer armseligen, schmutzigen Kammer enden, zwischen stinkenden Laken.»
«Das ist nicht so.»
Sie hatte ihn nicht gehört. «Scammell hat versucht sich an mir zu vergreifen, der Kerl, den du getötet hast, auch. Außerdem waren da noch Pastor Hervey und ein Wachsoldat im Tower.» Campion stockte und schüttelte den Kopf. Sie hasste die Siegel nicht zuletzt deshalb, weil sie sie verwundbar machten und diesen Sommertag am Fluss vergifteten.
Toby legte ihr eine Hand unters Kinn und hob ihren Kopf an. «Glaubst du, meine Eltern hätten ihre Liebe schmutzig gefunden?»
«Nein, aber sie sind auch anders.» Ihr war selbst klar, dass Ihre Antwort kindisch klingen musste.
Er lächelte und schüttelte den Kopf. «Es muss nicht schmutzig sein …»
«Woher weißt du?»
«Hör mir zu.»
«Von Lady Clarissa Worlake?»
«Nein.» Er lachte. «Willst du mir endlich zuhören?»
«Von wem?»
«Campion!» Er überraschte sie mit unvermittelter Strenge. «Hör zu! Was glaubst du, wie die Leute von Lazen ihre Frauen, Männer und Liebhaber fanden?»
«Das weiß ich nicht.» Ihr war elend zumute. Sie fühlte sich kindisch und unerfahren, bedrückt von dem Schatten, der auf ihr lastete, diesem dunklen Flecken an einem ansonsten makellosen Himmel.
«Wir haben vom Maitag gesprochen, erinnerst du dich? Und dem Erntefest. Davon, dass sich die jungen Leute und auch die nicht mehr ganz so jungen in die Büsche schlagen, wenn es dunkel geworden ist. Das ist nicht schrecklich. Wenn dem so wäre, warum sehnte man sich dann danach?» Er lächelte. «Zugegeben, es könnte ungemütlich werden, wenn es regnet, aber schädlich ist es nicht. Die meisten fangen damit an, bevor sie geheiratet haben, und die Kirche hat nichts dagegen. Es heißt Liebe und wird zurecht gefeiert.»
«Ich hatte nie einen solchen Maitag.» Sie schaute ihn vorwurfsvoll an. «Du aber.»
«Natürlich. Hätte ich stattdessen zu Hause über meiner Bibel hocken und meine Nachbarn als Sünder schmähen sollen?»
Seine Empörung entlockte ihr ein zögerliches Lächeln. Sie schüttelte den Kopf. «Tut mir leid, Toby. Vielleicht ist es doch nicht richtig, mich zu heiraten. Ich bin ein kleines Puritanermädchen und weiß von nichts.»
Er lachte und streichelte ihre Wange. «Darüber bin ich froh.»
«Warum?»
«Weil dir niemand in einer Mainacht oder in einem Heuschober nachgestellt hat.»
Sie lächelte, fühlte sich aber immer noch elend. «Du bist etlichen nachgestellt, stimmt’s? So wie mir damals am Bach.» Sie schüttelte den Kopf. «Hätte ich gewusst, dass du mir auflauerst …»
«Wärst du dann tot umgefallen?»
«Ich hätte mich in Grund und Boden geschämt.»
«Arme Campion.» Er lächelte. «Wann warst du das letzte Mal schwimmen?»
«Im vergangenen Jahr», antwortete sie. «An dem Tag, als wir uns begegnet sind.» Wie oft hatte sie im Tower daran zurückgedacht, an diese herrlichen Stunden am Bach, als sie unter strahlender Sonne von kristallklarem Wasser umspült worden war.
Toby richtete sich auf. «Ich nehme jetzt ein Bad.»
«Das kannst du nicht.»
«Warum nicht?»
Sie blieb ihm die Antwort schuldig: Weil er sich vorher ausziehen müsste, und davor hatte sie Angst. Treu-bis-in-den-Tod Hervey hatte ihr diese Angst eingeflößt, die Angst vor dem eigenen Körper und den
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