Das Hexen-Amulett (German Edition)
Lazenders seien ruiniert, sagte Lady Margaret, sie hätten alles verloren, Grundbesitz, Geld und ihr Zuhause. Charles Ferraby, der ochsenäugige Bewerber um Caroline, habe seine Hand zurückgezogen. Eine mittellose Braut wolle keiner haben. Nur Lord Tallis, Sir Georges alter Freund, habe Hilfe angeboten.
Plötzlich war jenseits der Gartenmauer Hufgetrappel zu hören. Auf ein Rufzeichen hin wurde das Tor geöffnet. Lady Margaret spitzte die Ohren. «Das ist Toby, meine Liebe. Versteck dich.»
«Verstecken?»
«Natürlich. Männer wollen überrascht werden. Das hält ihr Interesse wach.»
Campion zog sich hinter hohe Sträucher zurück und wartete voller Ungeduld und mit pochendem Herzen. Sie kam sich vor wie ein kleines Mädchen bei einem spannenden, heimlichen Spiel. Stiefelschritte waren zu hören, eine Tür schlug zu, und dann vernahm sie den gedämpften, aber deutlich erkennbaren Klang seiner Stimme. Aus unerfindlichen Gründen fühlte sie sich plötzlich an den Tower erinnert, an das Scharren der Ratten in der feuchtkalten Zelle. Dann wurde sie durch Lady Margarets gebieterische Stimme zurück in den von Fliederbäumen beschatteten Garten geholt. «Komm mit nach draußen, Toby. Ich möchte mit dir reden.»
Campion hörte Schritte auf den flachen Feldsteinen am Rand des Rasens. Dann war es still. Sie wartete. «Wo bleibt Ihr, Mutter?», rief Toby.
«Augenblick noch. Sag mir, wie spät es ist.»
Er betrat jetzt den Rasen und kam näher. Campion rang um Fassung. Sie versuchte, Ruhe zu bewahren, und zupfte an ihren Ringellocken. Endlich konnte sie ihn sehen. Seine roten Haare leuchteten in der Sonne. Er trug einen schwarzen Lederrock, die Linke steckte in einem Handschuh. Vor der Sonnenuhr stehengeblieben, rief er: «Kurz vor halb sieben, Mutter.» Weil eine Antwort ausblieb, drehte er sich um und sah das taubenblaue Kleid unter dem Flieder.
«Toby?»
Sie konnte sich nicht länger beherrschen, nicht mehr ruhig bleiben. Sein schönes Gesicht verriet Verwunderung, Freude, und dann lagen sie sich in den Armen. Er hatte die verletzte Hand um ihre Schulter gelegt, sie schmiegte sich an seine Brust. «Toby!»
«Du bist hier.» Er hob ihren Kopf und küsste sie sanft, fast vorsichtig, als müsste er sichergehen, dass er sich nicht täuschte. «Campion?»
Sie küssten sich wieder, mit Leidenschaft und so inniglich, als wollten sie sich nie mehr voneinander lösen. Sie krallte beide Hände in seinen rauen Lederrock und klammerte sich an ihn, als gelte es, am Leben festzuhalten.
«Toby!», rief Lady Margaret aus dem Haus.
«Mutter?»
«Gibt es dafür keinen Ort, an dem ich nicht zusehen muss?»
Er lachte seine Mutter über Campions Kopf hinweg an und küsste sie dann wieder. Campion hätte es nicht gestört, wenn die ganze Welt Zeuge gewesen wäre. Sie hatte nach Hause zurückgefunden.
27
Vavasour Devorax’ Rat, keine falschen Hoffnungen zu hegen, war hinfällig, denn was Campion in diesem Sommer an Glück erlebte, hätte sie nicht einmal zu träumen gewagt.
Campion Aretine – Lady Margaret bestand darauf, sie so zu nennen – würde in einem Monat Sir Toby Lazenders Frau werden. Das Aufgebot war bestellt, und niemand brachte Gründe vor, warum die beiden nicht in den heiligen Stand der Ehe treten sollten. Vor kurzem noch vom Flammentod bedroht, hatte ihr Leben eine plötzliche Kehrtwende vollzogen. Es bestand nun aus einer scheinbar ununterbrochenen Folge von Tanzfesten, zu denen Gäste kamen, die, obwohl sie sie nie zuvor gesehen hatte, das große Glück mit ihr teilen wollten. Wäre ihr Leben ein Fluss, er wäre nun aus den dunklen Höhlen schrecklicher Qualen auf eine sonnenüberflutete Parklandschaft hinausgetreten. Der Himmel aber war noch nicht von grenzenlosem Blau.
Einen Ort wie Oxford hatte sie nie zuvor gesehen. Seine Türme und Höfe, Zinnen und Torbögen zeugten von einer Schönheitsliebe, die einem Mann wie Matthew Slythe vollkommen fremd gewesen wäre. Doch all diese Pracht war bedroht. Es stand schlecht um den König. Seine Streitkräfte befanden sich im Rückzug, und über der Stadt lagen dunkle Schatten, die auch Campion nicht verborgen bleiben konnten, obwohl dieser Sommer für sie alles zu vergolden schien. Den Gestank und das Gedränge in den engen Straßen nahm sie kaum wahr. Sie sah nur das Schöne. Sie schwelgte in Liebe.
Aber selbst in der weiten, sonnigen Landschaft, durch die ihr Fluss strömte und die Tausende Blumen mit ihrem Duft erfüllten, zog noch ein anderer Schatten
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