Das Hexen-Amulett (German Edition)
Nervosität. Das lärmende Durcheinander und die offenkundige Abneigung der Hofschranzen gegenüber dem einfachen Volk ließen die Audienz in einem wenig würdevollen Licht erscheinen, doch als sie dann zum ersten Mal den König sah, war sie plötzlich von Ehrfurcht ergriffen. Immerhin stand sie vor einem König, einem Gesalbten Gottes, der weit über denen thronte, die sich hier um ihn scharten.
König Charles war trotz seiner hochhackigen Schuhe und dem mit Federn geschmückten Hut sehr viel kleiner, als Campion ihn sich vorgestellt hatte. Er stand reglos, ja, geradezu zaghaft inmitten des Gedränges, über das er sich seiner Miene nach zu wundern schien. Man hätte ihn auch für einen jener Universitätsdoktoren halten können, die durch die Straßen Oxfords gingen und anscheinend nicht wahrhaben wollten, dass ein Königshof mitsamt seiner Armee in die Stadt eingezogen war.
Ein Diener, der einen langen Stab mit goldener Spitze in der Hand hielt, rief die Lazenders nach vorn. Sir Toby verneigte sich tief, Lady Margaret und Lady Campion beugten die Knie. Der König nickte spröde und schien kaum interessiert an den dreien. Der Diener, der sie nach vorn gerufen hatte, forderte sie auf, wieder zurückzutreten.
Plötzlich erhob der König seinen rechten Arm. Campion sah, dass er schwere Ringe an den behandschuhten Fingern trug. Den Blick auf sie gerichtet, fragte er mit gezierter, aber klarer Stimme: «Du bist die Tochter von Christopher Aretine?»
«Ja, Eure Majestät.»
Er zwinkerte, und sie glaubte schon, sein Interesse an ihr sei erschöpft. Doch dann sagte er: «Es freut uns, dass du loyaler bist als er.»
Campion wusste darauf nichts zu entgegnen, und es schien, dass der König auch keine Antwort erwartete, denn er hatte sich schon den nächsten Gästen zugewandt. Sie trat zurück, unsicher, ob seine Bemerkung als Kompliment oder als Beleidigung zu verstehen war.
Lady Margaret hatte keine Zweifel. «Wir ertragen dieses scheußliche Gewühl, um unsere Hochachtung zu zeigen, doch er verhält sich flegelig. Wäre er nicht von Gott gesalbt, würde er wahrscheinlich nirgendwohin eingeladen. Zu einer gepflegten Konversation ist er offenbar nicht imstande. Wahrscheinlich kann er sich nur mit langweiligen Priestern unterhalten. Aber was kann man von einem Schotten auch anderes erwarten?» Sie schnaubte empört und nahm keine Rücksicht darauf, dass andere ihre Worte hören konnten. «Zugegeben, im Vergleich zu seinem Vater schneidet er ein wenig besser ab. König James hatte eine schrecklich feuchte Aussprache und nicht die geringsten Tischmanieren. Ich hoffe, meine Enkelkinder lernen beizeiten, sich kultiviert bei Tisch zu benehmen. Kaum etwas ist so unerträglich wie ein Kind, das mit den Händen auf seinem Teller herumpatscht – wie es übrigens dein Gemahl als Kind getan hat. Zum Glück haben wir nur selten miteinander gegessen. Ah! Da ist Lord Spears. Er behauptet, eine neue Methode der Veredelung von Obstbäumen entwickelt zu haben. Der Mann ist ein Narr, aber vielleicht hat er ja recht. Wir sehen uns später.» Mit diesen Worten stürzte sie sich in die Menge.
Toby grinste Campion zu. «Na, was hältst du von unserem ach so weisen Monarchen?»
«Ich habe ihn mir etwas anders vorgestellt.» Sie warf einen Blick zurück auf den kleinen, spitzbärtigen Mann, dem sich gerade ein Untertan näherte, der so dickleibig war, dass er sich kaum verneigen konnte.
«Ich hatte schon befürchtet, du würdest dich nass machen.»
«Toby! Also wirklich!»
«Lady Lazender», rief von hinten eine knarrende Stimme, die ihren Namen zu verspotten schien. «Ihr müsst mich Eurem Gatten vorstellen.»
Sie fuhr herum und sah Vavasour Devorax mit schiefem Grinsen vor sich stehen. Der Bart, den er sich wachsen ließ, war schon gut einen Zoll lang. Er machte einen verwahrlosten Eindruck, und seine schmutzigen Kleider sonderten einen üblen Geruch ab. Die grauen Haare waren fast so kurz geschoren wie die der Rundköpfe und verliehen seinem vernarbten Gesicht einen noch wüsteren Ausdruck. Sein Anblick machte sie nervös. «Oberst Devorax. Das ist Sir Toby.»
Er nahm Toby mit seinen kalten grauen Augen ins Visier und nickte kaum merklich.
Toby lächelte. «Ich muss Euch danken, Sir, für den Schutz, den Ihr meiner Frau habt angedeihen lassen.»
«Ja», bestätigte Devorax frei heraus.
«Darf ich Euch zum Essen bei uns einladen?»
«Ihr dürft, aber ich schlage Eure Einladung aus. Lady Lazender weiß, dass ein Dinner in
Weitere Kostenlose Bücher