Das Hexen-Amulett (German Edition)
sich auf eine Fahrt begeben, die ihr Angst machte, weil sie nicht wusste, wie sie sich an den fremden Orten, an die es sie verschlug, verhalten sollte. Doch der Gedanke an Scammell, an seine geifernde Begierde und die Aussicht darauf, die Mutter seiner Kinder zu werden, bekräftigte sie in ihrem Entschluss.
Am frühen Morgen bezahlte sie für die Unterkunft mit einer Goldmünze, die den Wirt argwöhnisch machte, und sie musste darauf vertrauen, dass er sie bei der Herausgabe des Wechselgeldes nicht übervorteilte.
Nachdem die Frau des Fuhrwerkers ihre eigene Rechnung beglichen hatte, führte sie Campion hinaus auf die Straße. Die Maultiere waren wieder aneinandergekettet, und so konnte sich der kleine Tross sogleich in Bewegung setzen. Campions Stimmung hellte sich auf. Sie hatte den ersten Tag in Freiheit unbeschadet überstanden.
Walter, der Fuhrwerker, war ein schweigsamer Mann und ebenso störrisch wie die Maultiere, die er führte. Mit der aufgeschlagenen Bibel in der Hand schritt er langsam voran. Von seiner Frau erfuhr Campion, dass er erst vor kurzem lesen gelernt hatte. «Er kann zwar noch nicht alle Wörter entziffern, wohl aber die meisten, und ich habe meinen Spaß daran, wenn er mir Geschichten aus der Heiligen Schrift vorliest.»
Im Süden waren dichte Wolken aufgezogen, und nach Mittag fing es an zu regnen. Am Abend kehrten sie in ein Gasthaus am Rand des New Forrest ein, wo Campion ihre Kleider vor dem offenen Kamin trocknete. Sie trank Dünnbier und wich Miriam, Walters Frau, nicht von der Seite, denn bei ihr konnte sie sicher sein und geschützt vor den zudringlichen Männern, die mit dem schönen, schüchternen Mädchen zu plänkeln versuchten. «Deine Mutter hätte dich beizeiten verheiraten sollen», meinte Miriam.
«Ich glaube, sie wollte mich nicht fortgeben», entgegnete Campion und fürchtete, dass Miriam fragen könnte, warum die Mutter sie dann nach London geschickt habe. Doch der Frau des Fuhrwerkers gingen andere Gedanken durch den Kopf.
«Es ist nicht bloß ein Segen, Liebes.»
«Was?»
«So schön zu sein, wie du es bist. Siehst du, wie unruhig die Männer sind? Aber immerhin hat dich der Herr vor Stolz bewahrt, und das ist ein Segen. Trotzdem, an deiner Stelle würde ich heiraten, und zwar bald. Wie alt bist du, Liebes?»
«Achtzehn», log Campion.
«Dann wird’s wirklich Zeit. Ich habe Walter mit fünfzehn geheiratet, und einen besseren Mann hätte Gott aus seinem Lehm nicht formen können, nicht wahr, Walter?»
Walter, in das fünfte Buch Mose vertieft, blickte auf und brummelte schüchtern vor sich hin. Dann nahm er einen Schluck Bier aus dem Humpen und widmete sich wieder seiner Lektüre.
«Habt ihr keine Kinder?», fragte Campion.
«Wo denkst du hin, Kleines. Unsere Kinder sind längst erwachsen, zumindest diejenigen, die der Herr hat wachsen lassen. Unser Tom ist verheiratet, und die Mädchen dienen als Mägde. So kann ich jetzt mit Walter reisen, ihm Gesellschaft leisten und, was noch wichtiger ist, ihn vor Unbill bewahren.» Sie lachte, und Campion sah, wie Walters ernste Miene aufheiterte. Die scherzhafte Bemerkung seiner Frau war ihm offenbar schon vertraut. Campion spürte, dass sie es mit guten, freundlichen Menschen zu tun hatte, und sie hoffte, dass sie die beiden nicht würde betrügen müssen.
Am nächsten Tag durchquerten sie den New Forrest. Zwei Dutzend anderer Wanderer schlossen sich ihnen an. Walter zog eine große Pistole aus seinem Gürtel und legte ein Schwert auf das Gepäck des führenden Maultiers. Doch Schwierigkeiten ergaben sich keine, abgesehen vom Regen, der den Pfad aufgeweicht hatte und noch lange, nachdem die Schauer vorübergezogen waren, von den Blättern der Bäume tropfte. Nachmittags schien die Sonne wieder, und sie näherten sich der Stadt, wo Campion von ihren Weggefährten würde Abschied nehmen müssen.
Southampton war bald erreicht, und Campion hatte sich so weit von ihrem Zuhause entfernt wie nie zuvor. Noch aber lag eine größere Strecke voller Hindernisse und Gefahren vor ihr. Miriam fragte, ob sie genügend Geld bei sich habe, und Campion antwortete ja, ungefähr fünf Pfund, worauf Miriam ihr den Rat gab, mit der Postkutsche weiterzureisen. «Das ist der sicherste Weg, mein Kind. Wirst du von deinem Onkel erwartet?»
«Ich glaube ja.»
«Nun, dann solltest du erst recht die Postkutsche nehmen. Wer weiß, vielleicht zahlt er dir das Fahrgeld.» Sie lachte, führte sie zu einem Gasthof, der als Haltestelle diente, und
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