Das Hexen-Amulett (German Edition)
auf der anderen erhob sich Scammells düsteres Haus. Campion wurde durch die Eingangshalle in eine kleine Kammer geführt und darin eingesperrt. Das Schlüsselklicken im Schloss erinnerte sie an die Strafexerzitien ihres Vaters, der sie immer zuerst in ihrem Zimmer eingeschlossen und sich selbst in Rage gebracht hatte, um an seinem Kind schließlich Gottes Rache zu üben.
Die Fensterläden waren verriegelt, doch nach einer Weile hatten sich Campions Augen an die Düsternis gewöhnt. Allem Anschein nach befand sie sich in Scammells altem Studierzimmer. Die Regale vor den Wänden waren leer geräumt, auf dem Tisch aber lagen noch mehrere religiöse Pamphlete. Sie riss eines davon in Fetzen, wusste aber um die Sinnlosigkeit einer solchen Geste. Ihre Zerstörungswut galt nicht einem Pamphlet, sondern diesem ganzen Haus. Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien, geheult und mit den Fäusten gegen die Tür geschlagen. Aber sie wollte nicht, dass sich ihre Widersacher an ihrer Niederlage ergötzten.
Ja, sie war bezwungen. Alleingelassen und verängstigt stand sie in dieser Kammer und sah sich in tiefe Verzweiflung gestürzt. Doch sie hielt ihre Tränen zurück. Der Hass auf ihre Entführer verlieh ihr Kraft. Sie lauschte den Stimmen in der Halle. Grimmett erklärte irgendetwas, worauf Scammell, anscheinend überrascht, seine Stimme erhob, protestierte, dann aber zustimmte. Die Eingangstür fiel ins Schloss, und dann waren nur noch die Stimmen von Scammell und der Haushälterin zu hören.
Campion fühlte sich wieder an ihre Kindheit erinnert, wenn von weither die zornigen Stimmen ihrer Eltern als Vorboten grausamer Bestrafung an ihr Ohr gedrungen waren. Sie hatte dann die Hände krampfhaft gefaltet und den Himmel angefleht, dass er ihr ein kleines Zeichen der Liebe Jesu geben möge. Doch statt einer Antwort hatte sie nur den Wind gehört, der ums Haus strich, und das Gemurmel von fernen Stimmen.
Lange Zeit geschah nichts. Campion hatte, ohne dass es ihr bewusst geworden wäre, angefangen zu keuchen. Ihr Körper schien in seiner Anspannung nach Luft zu ringen. Allmählich beruhigte sie sich. Es war dunkel geworden. Sie versuchte, die Läden zu öffnen, war aber zu schwach, um die schweren Riegel beiseitezuschieben.
Sie betete. Sie betete darum, erlöst zu werden. Es gab einen gnädigen Gott, davon war sie überzeugt. Und trotz aller gegenteiligen Hinweise wusste sie um die Liebe Jesu. Sie beharrte darauf, an göttliche Güte und Liebe zu glauben. In ihrem Gebet richtete sie sich nicht an den puritanischen Gott der Strafe, sondern an einen liebenden Gott. Doch so inniglich sie auch betete, erschien ihr jegliche Hoffnung vergeblich.
Der Schlüssel drehte sich im Schloss und weckte mit seinem Geräusch alle Schrecken der Kindheit. Die Tür ging auf, und es zeigte sich ein Kerzenlicht, genau wie damals, wenn der Vater nachts gekommen war, um sie zu züchtigen, und Charity, das Dienstmädchen, hinausschickte. Diesmal aber war es Samuel Scammell, der zu ihr kam.
Er drückte die Tür hinter sich zu, stellte die Kerze auf den Tisch und lächelte. «Wollen wir beten, Dorcas?»
Sie antwortete nicht.
Er winkte sie zu sich und zeigte auf den Boden. «Ich dachte, wenn wir gemeinsam niederknien und dem Allmächtigen unsere Nöte offenbaren, wird uns vielleicht geholfen.»
Sie wunderte sich über seinen sanften Tonfall. «Er hat die Mauern von Jericho zum Einsturz gebracht. Habt Ihr eine Trompete dabei?»
Ihre Stimme war so zornig, dass er vor Schreck zusammenfuhr. «Du verstehst nicht, Dorcas. Ist dir nicht wohl?», fragte er händeringend. «Der Tod deines Vaters hat dich sehr mitgenommen. Dr. Fenderlyn meint, du solltest dich untersuchen lassen. Du brauchst Ruhe, meine Liebe. In Dorset kannst du ausspannen.» In hilflos törichter Geste schüttelte er den Kopf und wechselte in die Sprache der Frömmler über, die ihn davor bewahrte, den eigenen Verstand zu bemühen. «Unser Herr und Heiland Jesus Christus wird helfen, Dorcas. Wirf deine Sorgen auf ihn und vertraue.» Seine Stimme schwoll an. «Auch wenn uns Kummer quält, Dorcas, auch wenn wir in Versuchung geraten, ist er bei uns. Ich weiß aus Erfahrung um seine erlösende Gnade, die uns durch das Blut des Lammes zuteil wurde.»
«Seid still!», schrie sie ihn an. «Seid still!»
Goodwife Baggerlie hatte ihm empfohlen, Campion zu schlagen, und gesagt, dass damit alle Probleme gelöst würden. Nun fragte er sich, ob sie wohl recht haben könnte. Er blinzelte nervös. Ihm
Weitere Kostenlose Bücher