Das Hexen-Amulett (German Edition)
Leben trug sie Kleider, die nicht dazu angetan waren, die vermeintliche Schande der Weiblichkeit zu verhüllen, sondern dazu, hübsch darin auszusehen. Lady Margaret ließ inzwischen zwei bedienstete Näherinnen für sich arbeiten, hatte aber früher leidenschaftlich gern selbst geschneidert. Aus dieser Zeit stammten noch viele wunderschöne Gewänder, und Campion hüllte sich in Satin, Musselin, Spitze und Seide. Ihre neuen Kleider hatten weiche, fließende Formen, lagen in der Taille eng an und ließen unter den aufgeschlitzten Röcken hübsche Petticoats zum Vorschein kommen. Die Halsausschnitte waren tief und von feiner Spitze gesäumt, und auch wenn eine breite Schärpe das Dekolleté verdeckte, wirkten sie auf Campion so unanständig, dass sie sich anfangs scheute, sie zu tragen. Lady Margaret hatte kein Verständnis für ihre Hemmungen.
«Was ist?»
Campion wies auf die großen Flächen nackter Haut und sagte: «Es fühlt sich seltsam an.»
«Seltsam? Da ist doch nichts, was groß genug wäre, um sich seltsam anzufühlen.» Sie zupfte an der spitz zulaufenden Schnürbrust aus Samt, die dem Mädchen zu groß erschien. «Du bist zu dünn, meine Liebe. Zeig mir jetzt das Blaue.»
Es war Campions Lieblingskleid, was vielleicht an der taubenblauen Farbe lag, der Farbe des Umhangs, den Toby ihr geschenkt hatte. Das Kleid war für sie umgenäht worden, und sie hatte lange darauf warten müssen. Doch das Warten hatte sich gelohnt.
Auch dieses Kleid ließ sehr tief blicken. Die weiße Seidenspitze, mit der der eckige Ausschnitt gesäumt war, lag kalt auf ihrer Brust, als sie das Kleid anprobierte. Aus weißer Seide bestanden auch die weiten Ärmel, die von der Schulter bis zur dreifachen Spitzenkrause mit blauen Bändern verziert waren, sodass sie, wenn die Arme bewegt wurden, blau und weiß aufblitzten. Der Rock war in der Mitte geteilt und öffnete sich keilförmig über dem weißen Unterrock aus Satin. Lady Margaret, die sich mit Komplimenten eher zurückhielt, schüttelte vor Verwunderung den Kopf. «Du siehst hinreißend aus, mein Kind. Hinreißend.»
Campions Haare waren lang und golden wie Weizen zwei Wochen vor der Ernte. Zu Hause in Werlatton hatte sie die Locken zurückkämmen, flechten und zu einem festen Knoten zusammenbinden müssen, um es unter der Puritanerhaube verstecken zu können. Die Haushälterin hatte ihr und den Mägden einmal im Monat mit einer langen Schere in gerader Linie die Haarspitzen abgeschnitten. Mehr wusste Campion zum Thema Haare nicht zu sagen. Caroline Lazender, Tobys jüngere Schwester und das dritte von Lady Margarets sieben Kindern, die das Säuglingsalter überlebt hatten, gab ihr Nachhilfe. Caroline hatte selbst langes dunkles Haar, dem sie unendlich viel Zeit widmete. Dass sie nun auch an Campions Kopf herumprobieren konnte, schien die Sechzehnjährige vollends glücklich zu machen. «Es müssen Ringellöckchen sein.»
«Ringellöckchen?», fragte Campion erstaunt. Caroline hatte auf einem Tablett seltsame Gerätschaften herbeigetragen, darunter eine Schere, viele blaue Bänder und Zangen, die heiß gemacht werden mussten.
«Heutzutage tragen alle Ringellöckchen.» Carolines Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.
Campion bekam also Ringellöckchen, und wenn sie sich in den Tagen danach zufällig im Spiegel oder in einer dunklen Fensterscheibe sah, blieb sie wie angewurzelt stehen und staunte über ihren eigenen Anblick. Statt des ernsten, bescheidenen Puritanermädchens, das seine als Schande verstandene Weiblichkeit verhüllen musste, blickte ihr ein fremdes Wesen entgegen, dem goldene Löckchen, von einer silbernen Spange zusammengefasst, auf die bloßen Schultern herabfielen. Auf der Brust trug sie das Siegel, und an den Fingern steckten Ringe von Lady Margaret. Als Sir George sie zum ersten Mal in ihrem neuen Putz sah, tat er, als kenne er sie nicht, und bat darum, ihr vorgestellt zu werden. Sie machte einen Knicks, lachte und wünschte, Toby könne sie so sehen.
Sie verbrachte die Tage mit Lady Margaret, teilte ihre Tatkraft und Begeisterung und las ihr an jedem Abend, bevor gegessen wurde, laut vor. Sie hatte eine gute Stimme und konnte flüssig lesen, obwohl sie anfangs manchmal schockiert war über das, was Lady Margaret zu hören wünschte. Sie lernte Bücher kennen, von denen sie nie zuvor gehört hatte. Bei manchen Texten wunderte sie sich, dass sie überhaupt zu Papier gebracht worden waren oder dass Lady Margaret sie bewusst für sich als Lektüre
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