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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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sammelte sich in einer Wehe auf den Dielenbrettern am Eingang. Als sie weg war, ging Deliverance auf den dreibeinigen Hocker am Ende des Tisches zu, ließ sich darauf nieder und legte den Kopf in die Hände. Ihre Finger trommelten auf die Rückseite ihrer Haube.
    Mercy tat so, als würde sie sich um den Gemüsetopf auf dem Feuer kümmern und schauen, welche Fortschritte der Brotlaib machte, der in der Ziegelmulde über der Feuerstelle buk, doch ihre ganze Aufmerksamkeit galt ihrer Mutter. Sie wartete.
    Deliverance seufzte, legte die Fingerspitzen an ihre Schläfen und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte. Mercy warf ihr einen verstohlenen Blick zu und bemerkte, dass Deliverances Augen geschlossen waren. »Als könnte ihr Kuchen zu etwas gut sein«, sagte Deliverance wie zu sich selbst.
    Mercy fasste diese Bemerkung als Zeichen dafür auf, dass ihre Mutter zu einem Gespräch bereit war, hängte den Eisenhaken zurück zu den anderen Küchengeräten in der Nähe der Feuerstelle und setzte sich an den Tisch. Sie zog die Schüssel mit den Eidottern zu sich herüber und begann, die Eiermasse zu rühren. Während sie so dasaß, stießen ihre Füße unter dem Tisch an etwas Warmes, Weiches, das brummte, als ihre Zehe es berührte. Ihr Hund schlief fast den ganzen Winter hindurch unter dem Tisch, beinahe unsichtbar in der Dunkelheit.
    Ein paar Momente lang saßen sie schweigend da, Mercy schlug das Eigelb mit einem Holzlöffel auf und rührte einen Teelöffel Melasse hinein. Dann fragte sie: »Warum hast du
Gevatterin Sibley gesagt, du könntest nichts sehen, Mutter? Du siehst doch immer etwas beim Ei-im-Wasser.«
    Deliverance schlug die Augen auf und schaute ihre Tochter an. Wenn sie sie derart anblickte, hatte Mercy stets das Gefühl, Deliverance könne sie durchschauen, als wäre sie selbst ein Eiweiß, das in einem Wasserglas schwebte. Sie wandte den Blick ab, doch die Augen ihrer Mutter ruhten immer noch auf ihr.
    »Wie lange ist es her, dass dieses Hemd gewaschen wurde?«, fragte Deliverance und befingerte das leinerne Gewand, dessen Kragen sich um Mercys Kehle schloss. »Ich habe noch ein altes in der Truhe. Gleich am Morgen werden wir es lüften.«
    Mercy legte den hölzernen Löffel beiseite und sah Deliverance direkt ins Gesicht. Im vergangenen Jahr war sie über ihre Mutter hinausgeschossen und auch ein wenig runder geworden. Doch nach wie vor gab man ihr keine Verantwortung, obwohl sie den Haushalt fast eigenständig führte. » Warum, Mutter?«, wollte Mercy mit zunehmender Ungeduld wissen. »Ich möchte, dass du mir antwortest.«
    »Ach, das möchtest du, ja?«, fragte Deliverance mit einem freudlosen Lachen. »Und was, so sage mir, soll ich dir antworten, Mercy Dane?«
    Sie erhob sich und ging zum Fenster, um ein wenig den Frost von der Scheibe zu wischen. Am Fenster wurde die Luft merklich kälter, und Deliverances Atem stand wie eine Dampfwolke vor ihrem Mund und beschlug das Fenster von Neuem. »Soll ich denn sagen, die Mädchen täuschen nur vor?«, fragte sie kalt. »Dass sie teuflische Einflüsse heraufbeschwören, um ein wenig Aufregung und Abwechslung in ihr tägliches Einerlei zu bringen? Das würde bedeuten, dass ich des Pastors Tochter in Zweifel ziehe. Ich würde sie der Lüge bezichtigen und mich damit in den Verdacht der üblen Nachrede bringen, wenn es sich als falsch herausstellt, was ich behaupte.
Oder« – hier wandte sie sich wieder Mercy zu, die Arme vor der Brust verschränkt – »soll ich etwa sagen, dass Mary Sibley Recht hat und die Mädchen ganz gewiss verhext sind? Und was dann?« Sie durchschritt den Raum, nahm eine von Mercys Locken, die ihr über die Schulter hing, und rieb die flachsene Strähne zwischen den Fingern.
    »Was glaubst du wohl, wem die Leute vom Ort Glauben schenken werden?«, fragte sie mit sanfter Stimme. »Wie lange wird es dauern, bis sie all die geheilten Kälber, die aufgespürten Adern mit Zinnerz, die zur rechten Zeit unternommenen Pflanzungen und all die gelinderten Schmerzen vergessen haben und nach einem Sündenbock suchen?«
    »Aber Mutter«, flüsterte Mercy, die blauen Augen weit aufgerissen und schimmernd im Flackern des Feuers. »Die Lüge ist eine Todsünde.«
    Deliverance blickte lächelnd auf das junge Mädchen hinab, das schlaksig und sommersprossig an ihrem Tisch saß. »Meine unsterbliche Seele gehört Jesus Christus«, sagte sie und legte Mercys Locke an ihren Platz zurück. »Und er wird wissen, wie damit zu verfahren ist. Wenn ich

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