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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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erschütterten seinen Körper mit einer Heftigkeit, die offensichtlich selbst die abgebrühten Krankenschwestern auf seiner Station beängstigte. Jedes Mal, wenn ein Anfall kam, wurden seine Arme, Beine, sein Rücken und sein Hals von Muskelkrämpfen gepackt, er wurde stocksteif oder zu grässlichen Verrenkungen verbogen, verlor das Bewusstsein, seine Zunge quoll hervor, und oft war diese Tortur noch von Erbrechen gefolgt, das ermüdend und schier endlos war.
    Allmählich war seinem Gesicht die Erschöpfung anzumerken: tiefe, purpurrote Ringe breiteten sich unter seinen Augen aus wie auslaufende Tinte, und wenn er überhaupt schlief, war es nicht von Dauer. Die Ärzte hatten ihm mehrere verschiedene krampflösende Mittel verordnet, aber keines zeigte Wirkung. Sie hatte mit angehört, wie sie über eine
ganze Reihe verschiedener Theorien diskutierten, doch nicht eine davon schien wirklich seinen Symptomen Rechnung zu tragen. Epilepsie war es nicht. Auch kein Tumor. Sie hatten sogar etwas angeordnet, das man den Reinsch-Test nannte, was Connie nachschauen musste – ein Test, bei dem es um den Nachweis einer Vergiftung ging, möglicherweise von den Chemikalien in der Farbe. Allerdings lieferten die Ergebnisse keine weiteren Aufschlüsse. Obwohl sich die Ärzte in Anwesenheit von Sam und seinen Eltern bemühten, zuversichtlich zu klingen, sah Connie deutlich den Zweifel, der sich langsam unter der Oberfläche ihrer angespannten Gesichter breitmachte. Als sie an diesem Nachmittag angekommen war, hatte sie eine Gruppe von sieben oder acht Medizinstudenten dabei ertappt, wie sie über Sams zuckenden Körper gebeugt standen, die Notizblöcke gezückt, aber ohne sich zu rühren. Sie alle schauten auf, als sie hereinkam, noch nicht abgebrüht genug, um zu verbergen, dass sie gegafft hatten.
    Nun stand sie vor ihrer Haustür, ließ den Blick über das Brandzeichen wandern und dachte noch einmal über Liz’ Hypothese nach. Liz behauptete, der Kreis könne zu ihrem Schutz gemeint sein, statt um sie zu ängstigen, doch erklärte ihre Theorie immer noch nicht, woher das Zeichen kam – oder, noch wichtiger, wer es verursacht hatte. Connie drückte sich frustriert die Fingerspitzen an die Brauen, und Hass angesichts ihrer eigenen Machtlosigkeit blitzte wie ein weißer Strahl hinter ihren Augen auf.
    Sie verabscheute das Gefühl, die Kontrolle über ihr eigenes Leben verloren zu haben, hasste es, dass sie Sam nicht helfen konnte, und ihr Zorn kehrte sich nach außen, galt den unsichtbaren Händen, die ihr Haus gebrandmarkt hatten, und den Ärzten mit ihrer Inkompetenz und ihren nutzlosen weißen Kitteln. Erst an diesem Nachmittag hatte sie zugehört,
wie Linda in der Telefonzelle auf dem Krankenhausflur stand und in den Hörer flüsterte: »Er stirbt, Michael. Mein einziges Kind … Wenn sie nicht bald rausfinden, was mit ihm los ist …« Linda hatte Connie entdeckt, wie sie lauschte, und rasch das Thema gewechselt, aber die wächserne Blässe in ihrem Gesicht war beredtes Zeugnis ihrer tiefen Verzweiflung. Connie nahm ihre Tasche hoch, wischte sich mit einem Arm über das Gesicht, drückte die Tür auf und trat ins Haus.
    Nacht herrschte im Wohnzimmer, und Connie ertastete sich ihren Weg an den beiden Lehnstühlen vor dem Kamin vorbei, bis sie an Grannas Chippendale-Sekretär stieß. »Arlo?«, rief sie, doch im Haus war es still. Sie lauschte, spitzte die Ohren, um das Tapsen von Pfoten oder Schnarchen auszumachen, aber nichts war zu hören. Schließlich nahm sie ein billiges Streichholzheftchen aus ihrer Gesäßtasche und entzündete es im Schutz. Sie steckte die kleine Öllampe an, die auf dem Schreibtisch stand, und drehte die Flamme in dem Glaszylinder auf die richtige Höhe, bis das Wohnzimmer von einem warmen, orangeroten Lichtschein erfüllt war.
    Grannas Schreibtisch war mit dicken Schichten von Connies Notizen und Exzerpten bedeckt, und die Bücher, die sie aus Cambridge mitgebracht hatte, türmten sich in unordentlichen Stapeln auf dem Boden. Sie fuhr mit den Händen über die Buchrücken, bis sie Lionel Chandlers Buch über den Aberglauben, The Material Culture of Superstition, gefunden hatte. Von ihrer mündlichen Prüfung im Frühjahr konnte sich Connie nur noch vage an die zentrale These des Buches erinnern. Sie setzte sich auf den Schreibtischstuhl, zog die bloßen Füße unter ihr Gesäß, schlug das Buch auf und überflog die Inhaltsliste auf der Suche nach einem Kapitel, in dem es um Kreuze oder Kreise in

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