Das Hexenbuch von Salem
Hut gehabt. Außer den Flaschen und Einweckgläsern, die bis vor Kurzem auf den Regalen gestanden hatten und jetzt leer und sauber waren, war die Küche überraschend spartanisch ausgestattet. Zwei Kochlöffel. Ein stumpfes Gemüsemesser. Eine gusseiserne Bratpfanne. Connie lächelte vor sich hin. Grace hatte sich einmal beschwert, in ihrer Kindheit habe sie von Granna nichts anderes zu essen bekommen
als Schmelzkäse, Kräcker, Dosengemüse und Pressschinken. Dafür brauchte man keine besonderen Kochutensilien. Sie machte schneidende Bewegungen mit der Schere und merkte, dass sich die Verkrustungen am Gelenk langsam lösten.
»Okay«, sagte sie laut. Sie schaute sich um, weil ihr vage der Gedanke gekommen war, dass ein solches Experiment vielleicht eine etwas dramatischere Umgebung brauchen könnte als die schmale Küche mit ihrem wachsverklebten Besen, der an der Wand lehnte, und der billigen Fliegengittertür. Doch in der Küche fühlte sie sich einfach wohler, schien die Dinge besser im Griff zu haben. Der Schein der Lampe füllte den Raum ganz aus und warf einen dunklen Schatten in dem schmalen Spalt zwischen den verbliebenen Einweckgläsern und der Wand. Dennoch hatte sie hier das beruhigende Gefühl, dass ihre Welt begrenzt und kontrollierbar war.
»Na gut«, sagte sie. Sie öffnete die Schere im rechten Winkel und stellte das Nudelsieb mit der gebogenen Seite nach unten zwischen die geöffneten Scherenhände. Dann nahm sie ganz langsam die Hand vom Sieb und packte eine der Scherenhände, während die andere locker am Gelenk hing. Jetzt musste sie bloß noch ihre Frage stellen. Nur Fragen, auf die man mit Ja oder Nein antworten konnte, hieß es im Buch. Connie setzte eine ernste Miene auf und richtete sich ein wenig auf. In Gedanken war sie bei dem, was sie Linda in der Telefonzelle so angsterfüllt hatte flüstern hören.
»Wenn man ihm nicht bald helfen kann«, begann Connie, »wird Sam dann sterben?«
Ein mittlerweile vertrautes Prickeln und Brennen breitete sich langsam in der Hand aus, die den Griff der Schere hielt. Energie schoss in vibrierenden, fast schmerzhaften Stichen durch ihre Finger, den Unterarm hoch und in die Klingen der Schere. Knisternd bildete sich ein bläulicher Schimmer
in der leeren Kuhle des Nudelsiebs, winzige elektrische Blitze entluden sich, von denen ein oder zwei auch das Sieb verließen und zuerst die Arbeitsfläche neben der Spüle, dann die alte Eisbox und schließlich die Decke und den Boden erreichten. Plötzlich schlug die freie Scherenhand heftig aus, und das Nudelsieb fiel mit einer solchen Wucht zu Boden, als hätte es jemand Connie aus der Hand geschlagen. In dem Moment, als das Sieb auf dem Boden auftraf, abprallte und schließlich liegen blieb, verschwand die bläuliche Energie wieder.
Connie stand wie angewurzelt da, von Verblüffung gepackt. Es hatte funktioniert. Es hatte funktioniert! Das Aufblühen des Löwenzahns im Stadtpark oder das der Grünlilie im Wohnzimmer konnte sie noch mit rationalen Argumenten abtun, als Zufall oder als Fügung. Doch hier und jetzt, in dieser Küche, war der Schmerz, der noch immer durch ihre Nervenbahnen zuckte, ein allzu deutlicher Hinweis darauf, dass das, was sie gerade erlebt hatte, Wirklichkeit war, dass es geschehen war. Bloß weil Sie an etwas nicht glauben , tönte die Stimme der Wiccanerin durch ihr Denken, heißt das noch lange nicht, dass es nicht existiert.
Aber was hatte in dem Buch von Chandler gestanden? Wenn es das Sieb umdrehte, bedeutete das eine Bestätigung als Antwort. Und das hieß Ja.
Wenn nicht bald etwas getan würde, dann würde Sam sterben.
Connie schluckte schwer und bückte sich, um das Nudelsieb aufzuheben. Arlo beobachtete sie von der Ecke der Küche aus, halb verborgen hinter der Eisbox.
»Okay, okay, okay«, flüsterte sie sich zu und stellte das Sieb noch einmal über die geöffnete Schere. Grace hatte gesagt, es sei überheblich, wenn man erwartete, alles erklären zu können. Connie versuchte, ihr Grübeln über den Mechanismus,
der dem Geschehenen unterlag, beiseitezuschieben und sich auf die Wirkung zu konzentrieren. Sie streckte den Arm aus, richtete den Blick auf das Nudelsieb und ließ die freie Hand locker an ihrer Seite herunterhängen. Dann räusperte sie sich und packte ihre Angst in ein kleines, verschließbares Kästchen in ihrem Denken.
»Werden die Ärzte ihm helfen können?«, fragte sie, und ihre Stimme hallte durch den Raum. Wieder das brennende Prickeln, das sich durch
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