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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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starrte voller Verwunderung auf ihre Handfläche, auf jene kleine, fleischige Kuhle, in der sich bei ihrer Befragung von Sieb und Schere auf irgendeine geheimnisvolle Weise ihr Wille in einem seltsam schmerzhaften, prickelnden blauweißen Licht manifestiert hatte, oder immer dann, wenn sie ihre Fingerspitzen auf Sams Stirn legte, um seinen Schmerz zu lindern. Sie ließ das Leben ihrer Mutter in Einzelheiten Revue passieren, befreite es von dem obskuren Beiwerk der New-Age-Terminologie und spürte deutlich, wie die Wahrheit unter den sich wandelnden Parametern der Sprache ihre Kontur veränderte. Ebenso wie all diese Frauen – jede eingeschlossen in ihrem eigenen historischen Moment, und doch auch als eine Art Variante von Connie selbst – hätte die besondere Gabe, die sie besaß, in genau den Worten beschrieben, die ihr seinerzeit zur Verfügung standen. Sie schluckte, brachte den Hörer näher an ihren Mund heran, und senkte die Stimme zu einem Flüstern.
    »Mutter«, sagte sie. »Weißt du, wer dieses Symbol auf meine Tür eingebrannt hat?«
    Connie hörte ihre Mutter leise kichern, und es klang fast ein wenig selbstgefällig. »Ich sage dir nur so viel«, antwortete Grace. »Niemand – ich meine, wirklich niemand – ist um deine Sicherheit mehr besorgt als ich.«
    Es wurde still, während Connie plötzlich begriff.
    »Aber wie -« fing Connie an.

    Grace schnitt ihr jedoch das Wort ab. »Tut mir echt leid, Liebes, aber jetzt muss ich wirklich Schluss machen. Kann Bill nicht mehr warten lassen. Seine Aura ist eine Katastrophe.«
    »Mom!«, protestierte Connie.
    »Jetzt hör mir mal zu. Es wird alles gut. Erinnerst du dich noch, was ich dir über den natürlichen Kreislauf auf der Erde gesagt habe? Dass manche Leute den einfach nur als Klimaveränderung abtun? Ich bin nicht im Geringsten besorgt. Vertrau deinen Instinkten, und du wirst wissen, was du zu tun hast. Das ist so wie …« Grace hielt inne, rollte mit den Augen und suchte nach Worten. »Das ist wie Musizieren. Hier ist das Instrument. Und da ist das Ohr. Und da ist die Übung. Bring all diese verschiedenen Elemente zusammen, und du kannst spielen. Natürlich gibt es da auch Noten. Die können dich leiten, dir Hinweise geben. Aber die Noten für sich genommen – das sind nur Zeichen auf einem Stück Papier.«
    Ungewissheit und Angst machten sich in Connie breit, als stünde sie an einem flachen, fließenden Gewässer und suche in seinen trüben Fluten nach etwas Glänzendem und Kostbarem, das ihr hineingefallen war. »Aber es gibt so viel, was ich nicht begreife«, flüsterte sie und drückte den Hörer so fest an ihr Ohr, dass es knallrot und heiß wurde.
    »Du siehst ein Geheimnis«, sagte Grace mit selbstgewisser Stimme, »aber ich sehe eine Gabe.« Bevor Connie noch die Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern, rief ihre Mutter: »Bin gleich bei Ihnen, Bill!« , wandte sich dann noch einmal dem Hörer zu und sagte: »Ich hab dich lieb, mein Schatz. Sei vorsichtig.«
    Es klickte in der Leitung, und Grace war weg.
    »Aber es tut weh«, sagte Connie in den still gewordenen Hörer hinein, streckte die Finger ihrer freien Hand und spürte, wie sich direkt unter ihrer Haut ein feines, elektrisch aufgeladenes Prickeln bildete.

INTERLUDIUM
    BOSTON, MASSACHUSETTS
28. JUNI I692
     
    D ie Ratte hatte einen guten Teil der vergangenen Viertelstunde damit verbracht, sich das Gesicht zu putzen, indem sie wieder und wieder mit den Pfötchen hinter ihre Ohren und über ihre behaarten Wangen fuhr. Es war ein fettes, träges Tier, und jetzt, da ihre Ohren ganz glatt und glänzend waren, wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem rosabräunlichen Schwanz zu, der sich um ihre Hinterbacken ringelte. Flinke Krallen arbeiteten sich vom Schaft bis zur Spitze vor, strichen Flöhe oder Hautfetzen weg und führten die Schwanzspitze immer wieder zur Schnauze, wo zwischen den bebenden Schnurrhaaren die Zunge hervorlugte. Das schmale Viereck aus Sonnenlicht, in dem das Tier zusammengekauert saß, ließ in seinen harten Knopfaugen ein listiges Glitzern aufleuchten. Das Licht fiel durch eine vergitterte Öffnung herein, hinter der man Füße und Pferdehufe vorbeigehen sah. Währenddessen drang ein leises Stöhnen aus der dunkelsten Ecke der Zelle, und das schmutzige Stroh, auf dem die Ratte saß, rührte sich unter einem Fuß, der ausgestreckt wurde. Erschrocken sprang das Tier von seinem sonnigen Plätzchen auf, um seine Morgentoilette anderswo zu beenden.
    Sein Platz auf dem

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