Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
Vom Netzwerk:
sonnenbeschienenen Fleck wurde nun von dem zitternden Fuß eingenommen, bei dem zwei schmutzige
Zehen aus dem größer werdenden Loch in einem schäbigen, fleckigen Strumpf ragten. Um den Bund des Strumpfes lag eine schwere Eisenmanschette, an dem eine kurze Kette, dick wie von einem Anker, hing. Der Fuß und der zugehörige Knöchel waren so klein, dass zwischen Manschette und Haut immer noch ein halber Zoll Platz war, obwohl die Manschette auf kleinster Stufe eingestellt war; der Strumpf unter dem Eisenring war mit Rostflecken beschmutzt.
    Der Fuß gehört einer gewissen Dorcas Good, die ganz hinten in der schummrigsten Ecke der Zelle auf der Seite lag, zitternd, die Arme und Beine bis zur Brust hochgezogen, das Gesicht von einem Wust aus verfilztem Haar umgeben. Ihre Augen standen weit offen, ihr Blick war ausdruckslos und leer, und sie lutschte an einem ihrer winzigen Finger. In den vergangenen paar Wochen war ihr die Sprache abhandengekommen; obwohl sie mit ihren vier Jahren früher durchaus ein lebhaftes und munteres Mädchen gewesen war, schien sie jetzt abgezehrt und mager, und die einzigen Laute, die sie von sich gab, waren ein gelegentliches Stöhnen und Jammern, wie bei einem Säugling.
    Eine Hand wurde ausgestreckt und strich ihr das Haar aus dem Gesicht, wo eine Schicht Schweiß es festgeklebt hatte. Über der Kerkerzelle lag bereits die Hitze des beginnenden Sommers, und die Luft war schwer vom Gestank des modrigen Strohs und der übervollen Eimer für die Exkremente, die für die Insassen bereitstanden. Deliverance Dane hielt die Hand des kleinen Mädchens, ließ eine prickelnde Wärme von ihrer eigenen Handfläche in das Kind übergehen, über dessen starrende Augen hinweg, und flüsterte leise ein paar Zauberworte, die einzigen, die sich in den vergangenen Tagen als wirksam erwiesen hatten. Dorcas’ Lider senkten sich über die Augäpfel, wurden schwer und schwerer und kapselten sie schließlich von dem Elend und Entsetzen ab, das
ihr kleiner Körper erdulden musste. Nun wurden die Atemzüge des Mädchens tiefer, und sie fiel in einen traumlosen Schlaf.
    »Sie schläft wieder, oder?«, krächzte eine gebrochene Stimme aus einer anderen Ecke der Zelle.
    »Ja«, bestätigte Deliverance und legte ihre Hand in ihren Schoß zurück, lehnte die Schulterblätter gegen die grobe Steinwand. In den vergangenen paar Monaten war sie dünner geworden und spürte so deutlich jeden einzelnen Knochen, dass es immer schwerer wurde, Ruhe zu finden. Alles Fleisch war dahingeschmolzen, immer ein paar Pfund auf einmal, und selbst an den Fingern waren nur noch Haut und Knochen. Als sie ihre Hand dem Viereck aus Sonnenlicht entgegenhob, konnte sie durch die Zwischenräume zwischen den Fingern die gegenüberliegende Wand erkennen.
    »Ich hab nie jemanden gesehen, der so schlafen konnte«, fuhr die Stimme fort, wissend. »Ist nicht natürlich.«
    Deliverance seufzte und schloss die Augen. Diese Unterhaltung mit Gevatterin Osborne hatte sie schon so oft geführt. »Gott beschützt die Seelen der Unschuldigen so gut er kann vor der Pein des Teufels«, murmelte sie.
    Die Stimme lachte, ein spöttisches Meckern, das in einem heftigen Hustenanfall endete. Als das Husten abklang, erhob sich Sarah Osbornes formlose Gestalt aus den Schatten und tastete sich langsam vorwärts, bis ein pockennarbiges Gesicht, von einer spülwasserfarbenen Haube umrahmt, ein paar Fuß von der Stelle entfernt auftauchte, an der Deliverance Dane saß. Die ausgetrockneten Lippen zogen sich vor dem Zahnfleisch zurück, in dem noch ein paar faulige Zähne steckten, und Deliverance hielt den Atem an, um sich vor dem üblen Geruch zu schützen, der aus dem Mund der Frau zu ihr herüberwehte. »Ich kenne Euch, Livvy Dane«, zischte die Frau. »Und Dorcas’ Mutter auch, obwohl die in einem
anderen Höllenloch steckt als wir. Ich habe Lust, es ihr zu sagen, was Ihr getan habt. Alle haben wir es gewusst.«
    Deliverances Augen wanderten langsam zur Seite, wo sie innehielten, um Gevatterin Osbornes Gesicht zu mustern. Die Haut zwischen den Augen der älteren Frau war faltig und wächsern; die alte Vettel war immer schon für ihre Übellaunigkeit bekannt gewesen. Stets sprangen ihre Gedanken von einem Punkt zum nächsten, kam sie vom Hölzchen aufs Stöckchen, jedoch niemals ans Ziel – ein Hang zur Zerstreutheit, der dazu geführt hatte, dass sie ihr Lebtag lang von der Mildtätigkeit der Menschen im Dorf abhängig gewesen war. Oft kratzte sie an einer Tür, bat

Weitere Kostenlose Bücher