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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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wenngleich es sich um eine Form christlicher Praxis handelte, die aus einer Zeit lange vor der Reformation zu stammen schien. In dem Text spiegelte sich eine Welt wider, in der christlicher
Glaube eng mit dem Wirklichkeitsbegriff verknüpft war. Kein Wunder, dass die puritanischen Theologen die Hexerei – wenn es denn welche war – als so bedrohlich empfunden hatten. In einem Denksystem, in dem Erlösung und damit alles Gute nur durch göttliche Gnade erlangt werden konnte, in dem man glaubte, die Handlungen eines Menschen hätten keinerlei Einfluss auf den Zustand der Seele, und in dem Krankheit und Unglück oft als Zeichen göttlicher Ungunst interpretiert wurden, musste eine Methode, die menschlichem Missgeschick den direkten persönlichen Appell an Gott entgegensetzte, zusammen mit obskuren, protowissenschaftlichen Praktiken, allem widersprochen haben, was das puritanische Machtgeflecht aufrechterhalten wollte. Ein solches Tun hätten puritanische Theologen als Gotteslästerung empfunden.
    Sogar als Werk des Teufels.
    So weit Connie es beurteilen konnte, basierten die Rezepte in dem Buch der Schatten auf einer Kombination aus Gebeten, dem sorgfältigen Einsatz von Kräutern und anderen natürlichen Substanzen und noch etwas anderem – etwas Unaussprechlichem. Wille? Das war es wohl nicht, aber fast. Absicht. In dem Buch wurde es verschiedentlich »Technik« genannt, »Fähigkeit« oder auch »Macht«. Doch Connie bereitete es immer noch Probleme, auf moderne Weise auszudrücken, worum genau es sich bei diesem Konzept gehandelt hatte. Als sie an die Wiederbelebung der Grünlilie zurückdachte, an dem Tag, als sie Grannas Rezeptkarten gefunden hatte, fiel ihr ein, dass Sam die gleiche Beschwörung ausprobiert hatte – sie verwendete diesen Begriff absichtlich, wenngleich etwas schuldbewusst -, jedoch nicht in der Lage gewesen war, den toten Pflanzen noch einmal Leben einzuhauchen. Sie runzelte die Stirn, konzentrierte sich und blätterte um.

    Sam. Sein Zustand hatte sich verschlechtert. An diesem Nachmittag hatte sie vor, ihn wieder zu besuchen, auch um seine Eltern zu entlasten, die anfangs nur regelmäßig zu Besuch gekommen waren, mittlerweile aber fast ununterbrochen an Sams Bett Wache hielten. Sein Erschöpfungszustand war gewaltig, und obwohl sein Bein heilte, war dies nur deshalb so, weil er den größten Teil des Tages in engen Bandagen verbrachte, damit bei den schweren Krämpfen, die ihn alle paar Stunden ereilten, seine kaputten Knochen nicht noch einmal brachen. Das regelmäßig auftretende, heftige Erbrechen machte es schwer, ihn genügend hydriert zu halten, und bereits jetzt sah seine Haut schlaff und müde aus. Sogar sein Humor war am Schwinden. Die Ärzte verliehen noch immer ihrer Hoffnung Ausdruck, es werde eine Lösung gefunden, doch Connie las es in ihren Gesichtern, dass ihnen ihre Selbstgewissheit langsam abhandenkam. Wenn sie in Sams Augen schaute, sah sie, dass auch er ihre Verwirrung spürte; sein Glaube an ihre Fähigkeit, ihm zu helfen, geriet allmählich ins Wanken und stand kurz vor dem Erlöschen. Und hinter jener dahinschwindenden Hoffnung erkannte Connie in Sams Augen ein erstes Aufschimmern von Angst.
    Sie schlug eine weitere Seite der Handschrift auf und hielt die Lupe dicht vor das Geschriebene, weil alles vor ihr zu verschwimmen schien. Ihr Kopf begann zu schmerzen, und sie legte das Vergrößerungsglas beiseite und kniff einen Moment lang die Augen fest zusammen, rieb sich mit den Fingerspitzen über die Lider. Dann zwang sie sich dazu, die Lupe wieder zur Hand zu nehmen.
    Das Wort Anfälle schwamm langsam durch das Sichtfeld der Lupe, und Connie beugte sich tiefer über die Seite und hielt das Vergrößerungsglas noch näher an den schwierigen Text.
    »Methode zur Beseitigung von Anfällen«, lautete die
Überschrift, und Connie hielt den Atem an. Bislang war es den Historikern nie ganz gelungen, genau zu beschreiben, was die Chronisten der Kolonialzeit mit »Anfällen« meinte, ob es sich dabei mehr um ungeklärte Ohnmachten handelte oder vielleicht um Fälle religiöser Ekstase, zu denen heftiges Zittern und das »Sprechen in Zungen« gehörte. Für beides gab es Argumente. Connie dachte an Sams zitternden, bebenden Körper, wenn er während eines seiner Anfälle von heftigen Muskelzuckungen befallen wurde. Dann rollten seine Augäpfel in die Höhlen zurück, das Weiße wurde sichtbar, und die Zunge schob sich aus dem Mund.
    Wenn das kein Anfall war, was dann?
    »Um

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