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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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vertrödelt, bis der Beginn der Verhandlung bereits verstrichen war!
    Während all diese Gedanken Mercy durch den Kopf gingen, schien die Besprechung der Richter sich ihrem Ende zuzuneigen, und einer von ihnen – »John Hathorne, der war früher schon amtlich bestellter Richter«, hieß es flüsternd ein paar Reihen hinter Mercy – sprach mit jemandem, der auf der Zuschauerbank direkt gegenüber von den wimmernden Mädchen saß, ein paar knappe Worte.
    Mercy kniff die Augen zusammen – die sich nicht, so wie es sich gehörte, immer genau auf einen gemeinsamen Punkt richteten, – und sah einen knochigen, älteren Mann mit allerlei Leberflecken auf dem kahlen Kopf aufstehen. Richter Hathorne breitete die Hände aus, um die Menge zur Ruhe und zum Schweigen zu bringen, und ein allgemeines »Psst! Psst!« erhob sich von den ersten Reihen des Bethauses, schwappte über die Zuschauermenge hinweg und brach sich dann wie eine Welle an der gegenüberliegenden Wand. Ruhe senkte sich über die versammelten Menschen, und der Mann begann zu sprechen. Mercy spitzte angestrengt die Ohren, um zu hören, was er sagte.
    »… schon lange den Verdacht, dass Gevatterin Dane Hexerei betreibt«, sagte er gerade, als das allgemeine Geflüster sich so weit gelegt hatte, dass auch Mercy ihn hören konnte. »Und meine Befürchtungen wurden aufs Schrecklichste bestätigt in einer Nacht vor zehn Jahren, als meine arme Tochter Martha einem schrecklichen, teuflischen Zauber erlag, während sie sich in der Obhut von Gevatterin Dane befand.«

    In diesem Moment hub aus der Bank mit den Mädchen ein großes Heulen und Wehklagen an, Ann Putnam sprang schreiend auf, zeigte auf Deliverance und rief: »Ich hab’s gesehen! Ihr Bild kam zu mir des Nachts, und sie sagte: ›Ich habe Martha Petford getötet, und wenn du mich verrätst, dann töte ich dich auch!‹«
    Die Menge schrie auf, und einige der anderen Mädchen rückten mit ihren eigenen Schilderungen von Deliverances Drohungen und Missetaten heraus. »An mein Fenster ist sie gekommen, und sie schwenkte wild ihren Besen!«, schrie eine, und eine andere fügte hinzu: »Und an meinem auch! Sie lud mich zu ihren bösen Hexensabbaten ein, damit ich meinen Namen in das Buch des Teufels setze!«
    Der stellvertretende Gouverneur Stoughton, dessen Doppelkinn vor Wut bebte, schlug mit einem Hämmerchen auf den Bibliothekstisch, während eines der Mädchen in Ohnmacht fiel und vornüberkippte und Ann Putnam, mit erhobener Stimme, hinzufügte: »Jawohl! Und dann hieß sie mich, meine Kleider auszuziehen und zeigte mir ein Gespensterbild meines Vaters im Leichentuch und sagte, ich müsse mit ihr gehen, sonst würde auch mein Vater getötet werden!«
    Es wurden Hände ausgestreckt, um die mit den Armen rudernde Ann zurückzuhalten, die jetzt offenbar am Kragen ihres Kleides riss, während jemand das ohnmächtig gewordene Mädchen aufhob und es sanft auf die Wangen schlug, bis seine Augenlider zu flattern begannen.
    Gouverneur Stoughton erhob sich von seinem Sitz, ließ erneut den Hammer auf den Tisch hinabsausen und bellte: »Abscheulich! Wahrlich abscheulich! Ich wünsche zu hören, was die Angeklagte selbst dazu zu sagen hat!«
    Bei diesen Worten verstummte die Menge tatsächlich, weil sie es nicht erwarten konnte, zu hören, was Deliverance von sich geben würde. Wie ein Mann lehnten sich alle nach vorn
und hielten den Atem an. Mercy ballte die Fäuste noch fester unter ihrer Schürze, damit ihre Wut und ihre Entrüstung nicht zu einer ungewünschten und unkontrollierten Entladung führten. »Sie lügt«, zischte Mercy leise. »Sie hatte nie etwas mit uns zu schaffen! Sie lügt!«
    Dort unten an ihrem Platz vor den Zuschauern schien Deliverance die Gesichter der Richter und der Menge zu ihrer beiden Seiten genau zu mustern. Mercy sah, wie Rebecca Nurse neben ihr eine sanfte, runzlige Hand ausstreckte, um ihrer Mutter über den Arm zu streichen. Deliverance richtete sich etwas höher auf, hob das Kinn, und selbst aus der Entfernung, in der sie stand, konnte Mercy erkennen, wie dünn ihre Mutter in den vergangenen Monaten geworden war, und dass sie auch älter aussah. Unter ihren Augen lagen tiefe, purpurfarbene Ringe, und ihr Haar sah wässrig und grau aus. Jetzt wich ein wenig die Farbe aus Deliverances Augen, sodass sie eisblau waren, und sie hub an zu sprechen.
    »Damals, vor zehn Jahren, wurde ich an das Bett von Gevatter Petfords Tochter Martha gerufen, die schwere Anfälle hatte und in sehr ernstem

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