Das Hexenbuch von Salem
Rasselbande von Kindern tobte zwischen den Beinen der Erwachsenen umher, spielte
Fangen, stieß fröhliche Schreie aus. In der Hitze des Mittags verhärtete sich der Schlamm, den zahllose Stiefelabsätze und Hufabdrücke aufgewühlt hatten, zu tief eingekerbten Krusten und zerstieb unter den immer mehr werdenden Tritten der Menschen, bis er zu einem puderigen Staub wurde, der sich mitten in der Menge erhob, Kleider befleckte, Gesichter beschmutzte und sich wie ein graues Leichentuch vor die Sonne legte. Ganz in der Ferne ragte über der Staubwolke und der wuselnden Menschenmenge ein schmales, hölzernes Gerüst empor, bestehend aus einer schnell gezimmerten Empore mit einem hohen Galgen darüber, von dem sechs dicke Seile baumelten.
Am Fuße des westlichen Hügels, dort, wo die Menschenmenge spärlicher wurde, stand ein aufgeschossenes junges Mädchen in einer zu großen, notdürftig festgesteckten Haube, das mit der einen Hand ein mageres, nervös tänzelndes Pferd am Zügel hielt, welches mehrere Bündel, mit Seil verschnürt, auf dem Rücken trug. Zu ihren Füßen saß ein kleiner Hund, der genau die gleiche Farbe zu haben schien wie die Staubwolke. Mehrere Menschen, die auf ihrem Weg in die vorderen Reihen der gaffenden Menge an den dreien vorbeikamen, schauten zweimal hin, weil sie sich nicht sicher waren, ob das Tier wirklich da war. Das bleiche Gesicht des Mädchens war vollkommen ausdruckslos, weder die Vorfreude noch die Erregung oder gar die unterdrückte Genugtuung, die sich in den Antlitzen der Umstehenden ausmalten, waren darin zu erkennen.
Während es langsam Mittag wurde, wuchs die Energie, die wie ein Pulsieren in der Menge lag, spürbar an. Eine Mischung aus Furcht und Vorfreude lag einem jeden der Zuschauer auf der Brust. Es war genau jene schwere, erwartungsvolle Stille, wie sie in einer Spelunke herrscht, kurz bevor die Fäuste fliegen, ein Gebräu aus Angst, Unmut und
Erregung, das rasch zu Kopfe steigt. Das Geplauder wurde lebhafter, und als jemand schließlich den Karren mit den Gefangenen in der Ferne auf den Richtplatz zurumpeln sah, begannen sich Schreie und Johlen durch die Menge zu winden wie ein roter Faden, durchbrochen nur durch hörbares Beten und Aufbegehren.
Mercy legte die Hände an die Flanke der braunen Bartlett-Stute, stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte über den knochigen Rücken des Rosses. Der Karren kam langsam näher, gezogen von einem Gefängniswärter. Es standen sechs Frauen unterschiedlichen Alters und Größe darauf, die sich mit beiden Händen an der Kante des Karrens festhalten mussten und bei jedem Schlagloch in der Straße heftig ins Wanken kamen.
Als der Karren die Ausläufer der Menschenmenge erreichte, flogen die ersten Kohlköpfe, und einer davon traf Susannah Martin mit einem nassen Klatschen so hart an der Brust, dass selbst Mercy von ihrem Standpunkt in weiter Ferne aus es hören konnte. Die gedemütigte Gefangene wandte das Gesicht ab, den Mund zu einer mitleiderregenden Grimasse verzogen, während die faulen Blätter des Gemüses an ihrem sowieso schon schmutzigen Kleid hängen blieben. Rebecca Nurse, in deren Augen noch immer ein weiser und freundlicher Ausdruck stand, was kaum zu glauben war nach all den harten Monaten im Gefängnis, streckte einen ihrer knochigen Finger aus, um eines des Blätter von Susannas Kragen abzuzupfen, und flüsterte ihr dabei ein paar Worte zu. Susannah nickte, die Lippen kümmerlich verzogen, und schloss die Augen, wie um sich vor der Welt abzuschotten, während der nächste Kohlkopf an der Holzwand des Karrens zerplatzte.
Mercy ließ den Blick über die sechs verurteilten Frauen schweifen, die aneinandergeklammert auf dem Karren standen.
Sarah Goods Mund war offen, denn sie kreischte und schrie auf die Gaffer hinab, die sich jetzt um die Räder des Karrens drängten. Arme streckten sich nach oben, um nach den Rocksäumen der Delinquentinnen zu greifen, verdorbenes Gemüse sauste, ohne zu treffen, über ihre Köpfe hinweg oder prallte manchmal an einer Schulter der Kauernden ab. Sarah Wildes hob schützend die Arme vor ihr Gesicht und hielt mit bebenden Schultern krampfhaft ihre besudelte Haube fest. Elizabeth Howe wurde gesehen, wie sie einer keifenden Matrone ins Gesicht spuckte. Und dort, mitten in der Gruppe, einen halben Kopf größer als die übrigen Frauen, stand Deliverance Dane, mit gelassener Miene, den Blick in weite Ferne gerichtet. Mercy kniff die Augen zusammen und sah, dass ihre Mutter unmerklich
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