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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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war.
    »Gevatterin Bartlett hat mir geholfen«, antwortete Mercy. »Sie hat mir das Geld geliehen und ihre braune Stute auch. Ich habe Zwieback mitgebracht.« Sie holte ein paar Brocken Brot aus dem Sack, den sie sich umgebunden hatte. »Soll ich Dorcas einen geben?« Mercy schaute besorgt zu dem kleinen Mädchen, das regungslos auf der anderen Seite der Zelle im Dunkeln lag, die Augen geschlossen, den Daumen zwischen den Lippen. »Und wo ist Gevatterin Osborne?«
    »Ich geb ihr zu essen, wenn du wieder weg bist«, sagte Deliverance. »Es macht die Kleine unruhig, wenn Fremde ihr zu nahe kommen.« Ihre Stimme klang traurig, resigniert. »Und Gevatterin Osborne hat auf dieser Welt keinen Kummer mehr zu erdulden. Gott der Herr hat sie schon vor drei Wochen zu sich genommen.«
    »Wenn ich weg bin?«, wiederholte Mercy, was ihre Mutter gesagt hatte, und begegnete ihrem müden Blick. »Aber Mama. Es ist für alles vorgesorgt. Du sollst mit mir kommen.«
    Deliverance schaute in das aufrichtige Gesicht ihrer Tochter und stieß ein müdes Lachen aus. Sie legte eine Hand an
die gerötete Wange, und Mercy spürte bei dieser Berührung die ganze Tiefe von Deliverances Schicksalsergebenheit.
    »Ach, meine Tochter«, sagte Deliverance, und die Winkel ihres Mundes wanderten ein winziges Stückchen nach oben. »Du weißt, doch, dass ich nicht gehen kann.«
    »Natürlich kannst du!«, rief Mercy und packte ihre Mutter an den Handgelenken. »Der Wärter schläft tief und fest von dem Trank, den ich ihm verabreicht habe, und ich hab den Zauberspruch gelernt, mit dem man Schlösser öffnet. Wir müssen nur noch gehen, Mama!«
    »Und die anderen zurücklassen? Sie, die eines Verbrechens unschuldig sind, welches, wie du weißt, ich begangen habe?«, fragte Deliverance und suchte im Antlitz ihrer Tochter nach Verständnis.
    »Begangen?«, fragte Mercy und ließ sich auf ihre Fersen hinab. Sie muss von Sinnen sein, dachte sie bei sich. Bestimmt hat sie in all den Monaten im Gefängnis den Verstand verloren.
    Deliverance bewegte sich, drückte mit einem leisen Stöhnen den Rücken in einem anderen Winkel an die Steinwand der Zelle.
    »Dann hast du Martha Petford wirklich umgebracht ?«, fragte Mercy, einen Ausdruck tiefster Bestürzung und Verwirrung auf dem Gesicht.
    »Ach, nein«, sagte Deliverance und schüttelte den Kopf. »Nicht ich, auch wenn es keine Überraschung ist, dass man mir nicht glaubt. Denn sie war schon verhext, weißt du. In gewisser Weise. Und die Medizin, die ich wählte, galt dem falschen Leiden.«
    »Aber warum?«, fragte Mercy verblüfft. »Wer trachtet denn danach, ein Kind umzubringen?«
    »Nur die schlimmsten und abscheulichsten Teufel. Aber denk mal darüber nach, Mercy. Wieso sagt man denn eigentlich, jemand sei verhext?« Sie betrachtete ihre Tochter,
die Brauen über den blassblauen Augen zusammengezogen. »Das Leiden dieser Person muss durch einen ganz bestimmten Schadenszauber verursacht worden sein, nicht durch reinen Zufall oder göttliche Vorsehung. Und doch weiß derjenige, der für den Schadenszauber verantwortlich ist, oft nicht, wozu er tut, was er tut, und er kennt auch nicht die Mittel, die dazu angewandt werden. Der Fehler besteht darin, nach der bösen Absicht zu suchen, und sich nicht damit zu begnügen, die Wirkung zu behandeln.« Deliverance schloss die Augen, ruhte sich einen Moment lang aus und schluckte. »Ein Mann muss kein Zauberer sein, um eine leidende Seele zu verhexen.«
    »Mutter«, sagte Mercy, »ich kann dir nicht folgen. Wer war denn dann bei der kleinen Martha der Übeltäter?«
    Deliverance öffnete die Augen wieder, und Mercy dachte, dass sie irgendwie stumpf aussahen, wie getrübt durch Müdigkeit und Unterernährung. »Nun, Peter Petford natürlich«, sagte sie mit belegter Stimme.
    Mercy stockte der Atem. »Gevatter Petford!« Sie saß stocksteif auf ihren Fersen, den Mund erschrocken aufgerissen.
    »Ohne sich selbst dessen bewusst zu sein«, fügte Deliverance hinzu. »Der arme Mann, er hat so lang gelitten.«
    »Aber wie?«, wollte Mercy wissen.
    »Als ich damals zum ersten Mal an das Krankenbett seiner Tochter gerufen wurde, dachte ich, sie leide an ganz gewöhnlichen Anfällen. Oder dass sie sich vielleicht nur krank stelle, ein trauriges kleines Ding, dem man in viel zu jungen Jahren bereits einen ganzen Haushalt anvertraut hatte. Und das keine Mutter mehr hatte.« Deliverance führte eine zarte Hand an ihre Stirn und schien sich die unangenehme Erinnerung wegstreichen

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