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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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drehte sie sich um, ihr Herz krampfte sich zusammen, sie öffnete die Arme und warf die Handschrift ins Feuer.
    Ein Ausdruck grenzenloser Überraschung trat auf Chiltons Gesicht, löste sich jedoch rasch in Unmut und dann Wut auf, während ihm ein Schrei entfuhr, der all die Schichten der Zurückhaltung durchdrang, die er sich in seinen mehr als sechzig Lebensjahren auferlegt hatte – Schichten, die sich zuerst in den hallenden Fluren des Stadthauses seiner Familie in Back Bay gebildet hatten, wo er müßig und unbeachtet mit einem Buch in der Hand umherschlenderte; dann in seinem Schlafsaal im Gold-Coast-Haus in Harvard, wenn er eine Haarbürste mit silbernem Rücken durch seine Locken zog, die sich einfach weigerten, glatt am Kopf anzuliegen; oder in seinem Club, während er versuchte, sich die richtige Haltung seiner Pfeife anzueignen; Schichten, die sich in den geheimen Fluren des Fakultätsclubs bildeten und bei den Treffen mit dem Kollegen weiter aufbauten, während er voller Angst auf die unvermeidliche Entdeckung der Tatsache
wartete, dass seine Arbeit, sein Lebenswerk scheitern würde. Schichten, die nun abgepellt wurden, indem sich in Chiltons Augen die nackte Gewissheit offenbarte, dass seine tiefste Angst berechtigt war, dass all das Prestige, das man ihm zu Füßen gelegt und in all den Jahren immer wieder aufpoliert hatte, niemals ausreichen würde, um die Tatsache zu verschleiern, dass er im Grunde ein schwacher Mensch war – ja, das war Manning Chilton, ein zitternder, grabschender kleiner Mann – und dass es keine alchemistische Transformation gab, die auf seine Seele einwirken und ihn zu dem großen Gelehrten, der großen Persönlichkeit machen konnte, die zu sein er sich so sehr wünschte.
    Chilton fiel voller Entsetzen auf die Knie und fing an, in den glimmenden Glutresten zu wühlen, mit den Fingern die Manuskriptseiten herauszuziehen, die sich freilich bereits an den Kanten kräuselten und schwarz verfärbten.
    Connie sah ihm zu, wie er fiel, wie er neben dem Kessel kniete, in dem es zu brodeln und zu blubbern begonnen hatte, und begann flüsternd das Vaterunser zu sprechen. Ihr Herz füllte sich mit Mitleid. Für sie war es furchtbar, diesen Mann, ihren einst so angesehenen und bewunderten Mentor, zu einem kauernden, abstoßenden Tier reduziert zu sehen. In seinem eigenen Wunsch nach Wahrheit, nach dem Reichtum, dem Ansehen und all den Verheißungen, die der Stein der Weisen bot, hatte er seine Menschlichkeit in die Waagschale geworfen und sie verloren, und nun war nichts mehr davon übrig als ein bebendes Nichts. Der Stein war alles gewesen, was er wollte und was er nie haben konnte.
    Sie hob ein Zweiglein getrocknete Minze vom Boden auf, das, wenn es dem Gebräu im Topf zugefügt wurde, Sam endgültig von seinem Leiden befreien würde. Sie ließ es in den Kessel fallen, und als sie das tat, loderte das Feuer auf, gab einen wilden blauen Funkenregen von sich, und Chilton zog
seine verbrannten Hände mit einem schmerzlichen Wimmern weg. Connie schaute ihn noch einmal an, nahm dann all ihren Mut zusammen und vollendete den Zauber.
    »Agla«, sagte sie sanft, und der dicke weiße Rauch zog sich zu einer Säule in der Mitte des Feuers zusammen. »Pater, Dominus«, fuhr sie fort, während der Dampf sich um den brodelnden Kessel zu legen begann, »Tetragrammaton, Adonai. Himmlischer Vater, ich flehe dich an, bring das Übel auf ihn herab«, endete sie mit einem Flüstern. Der weiße Rauch stieg in einem geschmeidigen Bogen vom Kessel auf, drang in Chiltons Mund, in seine Augen und seine Ohren und schien direkt in seinen Körper zu fließen. Seine Augen verdunkelten sich vor Rauch, und er blieb auf den Knien liegen, einen Moment lang unbeweglich, ehe der Rauch sich wieder aus seinem Körper zurückzog, seinem Mund entwich und sich dick aufbauschte, bevor er in den Bauch des Feuers zurückkehrte. Chilton beugte sich vornüber, hustend und keuchend, seine Arme umschlangen seine Leibesmitte, und ein langer, bebender Schrei entrang sich einem dunklen Teil seiner selbst.
    Auf einmal spürte Connie, wie ihr alle Kraft aus den Beinen wich, und sie glitt zu Boden. Sie lehnte den Kopf an das Tischbein und ruhte sich aus, die schlimm versengten Hände im Schoß bergend. Die Verbrennungen fühlten sich an wie tiefe Furchen in ihrem rohen Fleisch, und als sie die Finger streckte, zerrissen die Nerven in ihrer Haut mit einem Zischen. Aus dem Augenwinkel sah sie das dünne gelbe Alraunengift aus den Brandwunden

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