Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
Vom Netzwerk:
der Gedanke daran existierte, dann hat jemand es bestimmt auch mal probiert. Die Menschen ticken eben so, auch wenn sie Puritaner sind. Diese Einritzungen haben jedenfalls sicher für jemanden etwas bedeutet. In dieser Stadt gab es etwas, vor dem die Leute Angst hatten.« Er schaute sie genauer an. »Das war keine akademische Frage für diese
Leute. Es war reales Leben. Und wirkliches Leben barg wirkliche Schrecken.«
    Connie fuhr mit den Fingerspitzen über die flachen Unebenheiten in dem Grenzstein, hingerissen von dem, was Sam gesagt hatte. Natürlich ergab seine Argumentation einen Sinn. Doch alles, was sie gelesen hatte, hatte auf der These beharrt, dass die Hexerei nur eine Stellvertreterfunktion für etwas anderes hatte: Sie war das irrationale gesellschaftliche Instrument einer Welt vor der Aufklärung gewesen, das dazu benutzt wurde, die Angst vor dem Ungewissen auf schwächere Mitglieder der Gesellschaft zu übertragen. Es durchfuhr sie ein Prickeln, während sie die Hand auf den Stein legte. Hexerei stand also nicht einfach nur für etwas anderes, sie war nicht bloß ein tiefenpsychologisch wirksamer Mechanismus, mit dem man versuchte, sich eine Welt zu erklären, die scheinbar ohne Ursache und Wirkung war. Für einige Menschen in der Kolonialzeit war sie real gewesen. Bei diesem Gedanken stockte Connie der Atem. Das hier war ein greifbarer Beweis, zum Anfassen, der über zweihundert Jahre unter einem Komposthaufen versteckt gewesen war.
    Gerade wollte sie etwas erwidern, als von der Hintertür des Hauses eine ferne Stimme rief: »Ist da jemand?« Connie und Sam schauten sich an, die Münder offen stehend vor Überraschung. »Ich hab’s dir gesagt!«, flüsterte sie und boxte ihn gegen die Brust. Er breitete die Hände zu einer Geste der Unschuld aus, zuckte die Achseln, als wollte er sagen: Mea culpa . Dann nahm er sie an der Hand, und sie fingen, lachend und keuchend, an zu laufen.

SECHS
    Salem, Massachusetts
Mitte Juni 1991
     
    C onnie stand mit verschränkten Armen vor dem imposanten, klassizistischen Gebäude des Stadtgerichts von Salem und fragte sich, was sie hier eigentlich machte. Die sengende Hitze der vergangenen Woche hatte sich unvermindert fortgesetzt, und die ganze Stadt verbarrikadierte sich gegen den Sommer. Boutiquen standen leer. Ein einsamer Schulbus spuckte ein paar Schüler aus dem Sommercamp auf die Straße, und das Bild der Kids, wie sie Hand in Hand eine kopfsteingepflasterte Gasse entlangliefen, verschwamm hinter den flirrenden Hitzeschleiern, die vom Asphalt aufstiegen. Connie trat durch die Tür des Gerichtsgebäudes, die mit einem eingeklemmten Metallklappstuhl offen gehalten wurde, damit auch die kleinste Brise hineinkonnte.
    Nach der gleißenden Hitze auf der Straße fühlte sich das Innere der Marmoreingangshalle schummrig und kühl an, und sie blieb stehen, um ihre Augen an die Umgebung zu gewöhnen. Der Tisch am Einlass war verwaist, und sie ließ ihren Studentenausweis aus Harvard wieder in die Taschen ihrer Jeansshorts gleiten. Offenbar weckte der Sommer selbst im Bewusstsein der normalerweise überordentlichen Neuengländer eine besondere Art von Gleichgültigkeit. Sie durchquerte ein weiteres Paar Eichentüren, die ebenfalls offen
standen, und bog in einen muffig riechenden Korridor ab, dem Pfeil einer Metallplakette mit der Aufschrift NACHLASSGERICHT folgend.
    Es war eine Woche vergangen, seit sie und Sam aus dem Garten eines Fremden verscheucht worden waren, und in dieser Zeit hatte sich die angenehme Verwirrung, die sie in Sams Gesellschaft empfand, sogar in seiner Abwesenheit gehalten. Als sie am Morgen danach in der Telefonzelle im Zentrum mit Liz geplaudert hatte, hatte sie der Hitze die Schuld daran gegeben, die immer schon ihr klares Denken verwischt hatte.
    »Ich glaube nicht, dass das die Hitze ist«, sagte Liz.
    »Ach, du hast doch keine Ahnung«, jammerte Connie. »In Grannas Haus kriegt man keine Luft. Und ich kann nicht mal einen Ventilator einschalten. Gestern Abend hab ich mir einfach eine ganze Wanne voll kaltem Wasser eingelassen und mich eine halbe Stunde lang reingesetzt. Selbst Arlo bewegt sich fast nicht mehr von der Stelle.«
    »Wie auch immer. Dir war auch früher schon mal heiß«, tat Liz Connies Klage ab. »Ich glaube, was dich aus der Bahn geworfen hat, ist, dass du diesen Typen kennen gelernt hast. Aber auf eine gute Weise.«
    Connie war entsetzt. Wie immer schaffte es Liz, ihre Verschleierungstaktik zu durchschauen und das

Weitere Kostenlose Bücher