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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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wie ein pfeifender Abgrund des Unverständnisses. Am liebsten hätte sie das Tagebuch durch den Saal gepfeffert, seine brüchigen Seiten mit beiden
Händen gepackt und sie zerrissen, hätte Prudence geschüttelt, um sie endlich aus der Reserve zu locken. Aber Prudence blieb unberührt durch Connies Wut und Frustration, isoliert hinter ihrer zwei Jahrhunderte dicken Mauer.
    Von irgendwoher fiel ein Tropfen herab und verschmierte die Zeichnung der Pusteblume am Rand von Connies Notizen. Sie wischte sich mit dem Arm über die Augen und schob das alte Buch von sich weg.

ZWÖLF
    Marblehead, Massachusetts
4. Juli 1991
     
    O ffen gestanden überrascht es mich ein bisschen, dass er dich angerufen hat«, sagte Grace. Sie klang milde, aber Connie nahm auch eine leicht beunruhigte Note in ihrer Wortwahl wahr.
    »Er war einfach nur wirklich neugierig zu erfahren, was ich aus Prudences Tagebuch herausgefunden habe«, versicherte ihr Connie. »Er wusste, dass ich gestern einen Termin im Athenäum hatte. Und er wusste auch, dass ich unbedingt auf eine Erwähnung des Rezeptbuches stoßen muss, weil ich sonst nicht mehr weiß, wo ich als Nächstes suchen soll.«
    »Wie hat er es denn aufgenommen, als du es ihm gesagt hast?«, fragte Grace vorsichtig. Grace klang immer vorsichtig, wenn sie gerade häkelte. Connie fragte sich, was wohl diesmal das Ergebnis von ihren flinken Nadelkünsten sein würde, während sie telefonierten. Sie sah ihre Mutter vor sich, wie sie in ihrem Wohnzimmer saß, den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt, eine kunterbunte Mischung aus Wollknäueln um ihre Füße verteilt.
    Connie fuhr mit der Fingerspitze über die mit Spinnweben behängte Oberfläche des Spiegels in der Diele und seufzte. »Um ehrlich zu sein, klang er ziemlich aufgebracht.«
    Eigentlich wäre wütend die bessere Umschreibung seiner Reaktion gewesen als aufgebracht . Manning Chilton hatte sie
am Morgen angerufen, als sie gerade über ihrer Ausgabe des hiesigen Käseblättchens Local Gazette and Mail gebeugt saß und Kaffee trank (die herausragendsten Schlagzeilen lauteten: »Feuerwerk 2I Uhr«, »Regatta für Modellsegelboote verweist stolz auf neuen Teilnehmerrekord«, »Treffen des Rotary-Clubs vertagt«). Als Connie Chilton erzählt hatte, dass sie in Prudences Tagebuch keine explizite Erwähnung des Medizinbuches gefunden hatte und auch sonst nichts daraus erfahren hatte, als dass Prudence eine etwas grimmige Frau gewesen war, die ihren Lebensunterhalt als Hebamme bestritt, hatte er wissen wollen, was sie als Nächstes unternehmen wolle. Connie, die schon allein die Tatsache verblüfft hatte, dass ihr Doktorvater sie zuhause anrief, ob nun an einem Feiertag oder nicht, war auf die Frage überhaupt nicht vorbereitet gewesen.
    »Und was meinst du mit aufgebracht ?«, wollte Grace wissen.
    Connie wand sich. »Ich glaube, eigentlich ist er nur ziemlich nervös. Es ist so eine faszinierende Primärquelle, und er will einfach, dass ich das alles gut mache.« Was eine etwas nettere Umschreibung dessen war, was er wirklich gesagt hatte, nämlich: Was in aller Herrgotts Namen denken Sie sich eigentlich dabei, Ihre und meine Zeit so zu verschwenden, und: Offen gestanden hatte ich mehr von Ihnen erwartet. Connie erschauderte, wenn sie an das Gespräch zurückdachte.
    » Wie aufgebracht?«, drängte sie Grace.
    Connie seufzte noch einmal und verfluchte sich innerlich dafür, dass sie sich immer gewünscht hatte, Grace würde Interesse an ihrer Arbeit bekunden. »Er hat mich … na ja, angeschrien«, gestand sie ein und fügte hastig hinzu: »Aber es war nicht so schlimm«, in genau dem Moment, in dem Grace rief: »Ach, Connie!«, und vor Ärger ihre Häkelnadel hinwarf.

    »War es wirklich nicht, Mom«, beharrte Connie. Sie konzentrieren sich jetzt besser mal darauf, es zu finden, hatte Chilton gesagt. Sonst muss ich nämlich ernsthaft Ihr Engagement, was das Studium der Geschichte angeht, infrage stellen und kann die Fortsetzung Ihres Stipendiums im nächsten Jahr nicht mehr befürworten. Bei der Erinnerung an diese letzten Worte zog sich ihr der Magen zusammen, doch sie sagte sich, dass Chilton wahrscheinlich einfach versuchte, sie anzuspornen – auch wenn die Technik, die er dafür einsetzte, ziemlich drastisch war. Grace atmete nur tief durch die Nase aus, und blies ihren heißen Atem in den Hörer und durch die Leitung, bis an Connies Ohr.
    »Er will eben unbedingt, dass ich das Buch finde. Aber momentan sehe ich einfach keine

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