Das Hexenbuch von Salem
Prudence betraf, wuchs. Tagaus, tagein hatte die Frau nur im Garten gearbeitet, gekocht, Babys zur Welt gebracht. Wenn das schon langweilig zu lesen war, musste es doch erst recht frustrierend gewesen sein, so zu leben. Wobei diese Erkenntnis nicht dazu beitrug, Connies Ärger zu mildern. Prudence war eine bedächtige, pragmatische, ja sogar herbe Frau gewesen – eine Frau, die ihrem Namen alle Ehre machte.
Während Connie mit ihrer Lektüre beschäftigt war, streckte sich Arlo auf der Schwelle aus, die Nase gegen den Spalt in der Eingangstür gedrückt. Sein Fell war kaum von dem honigfarbenen Ton der Dielenbretter zu unterscheiden. In genau diesem Moment fing er an, mit dem Schwanz zu wedeln und kleine Laute der Freude auszustoßen. Er legte die Ohren an. Connie blätterte eine Seite in ihren Notizen weiter, kaute unbewusst auf ihrer Wange.
»He, hallo, jemand zuhause?«, rief eine Frauenstimme vom Eingang her, und Connie, die aus ihrer Versunkenheit erwachte, drehte sich um und sah Arlo, der – ein vor Freude bebendes Fellbündel – in die Arme von Liz gesprungen war.
»Liz!«, rief sie aus und erhob sich überrascht vom Schreibtisch. »Ich habe dein Auto gar nicht gehört!«
»Heute ist Feiertag, meine Liebe«, schalt Liz und umarmte Connie mit ihrem freien Arm. »Du solltest nicht arbeiten.«
»Sag das mal Chilton«, stöhnte Connie. »Der hat mich sogar extra heute Morgen angerufen, um mir zu sagen, was für eine totale Enttäuschung ich bin und dass ich ihm bloß seine Zeit stehle.«
»Professor Chilton«, verkündete Liz feierlich, »ist ein Scheißkerl.« Connie machte schon den Mund auf, um darauf etwas zu sagen, doch Liz duldete keinen Widerspruch. »Tut
mir leid, aber das ist einfach so. Ich beobachte das schon seit Jahren. Und jetzt komm. Im Wagen sind Lebensmittel.«
Connie lächelte ihre Freundin an. »Hoffentlich nicht zu viele. Denk dran, es gibt keinen Kühlschrank.«
»Und genau aus diesem Grund«, sagte Liz, »habe ich auch Eis mitgebracht.«
»Also«, hub Liz an und legte Gabeln neben die Servietten auf dem Esstisch, »dann erzähl mal. Wie läuft es denn so?«
»Ich bin mir gar nicht sicher, wo ich anfangen soll«, rief Connie aus der Küche. »Was willst du lieber hören – die Geschichte vom verschwundenen-Buch-Schrägstich-Dissertation-einschließlich-saurer-Doktorvater? Oder willst du lieber eine Kurzbeschreibung des Typen, damit du ihn ordentlich in die Mangel nehmen kannst, wenn er hier ist?«
»Hm, am liebsten wohl beides, aber zuerst will ich wissen, ob du das Haus jetzt verkaufen kannst?«
Connie tauchte in der Tür auf, ein dampfendes Nudelsieb zwischen den Küchenhandschuhen, und goss die Pasta in eine bereitstehende Schüssel auf dem Tisch. »Oh, das. «
»Du hast also noch nichts unternommen, stimmt’s?«, fragte Liz und verschränkte die Arme.
»So kann man das nicht sagen«, konterte Connie und zog die Handschuhe aus. »Ich habe ein Telefon legen lassen.«
Liz beugte sich vor, um die Öllampe auf dem Tisch herunterzudrehen, deren orangerote Flamme zuerst aufflackerte und ihre schmalen Züge wie ein Relief hervortreten ließ und dann zu einem warmen Schein abgemildert wurde. Draußen war es immer noch ein wenig hell. Das Zwielicht hing ein wie blassgrauer Schimmer am Himmel, aber über dem Inneren des Hauses lag bereits der Mantel der Dunkelheit. »Wenn ich mir für den Herbst eine neue Zimmergenossin suchen soll, sag Bescheid«, antwortete Liz ernst.
»Liz!«, rief Connie aus. »Natürlich nicht! Es ist erst Juli!«
»Ich weiß, aber ich sag’s ja nur«, brummte Liz, ohne ihre Freundin dabei anzuschauen.
»Sei nicht albern. Jedenfalls werde ich mich jetzt, da ich kein Nachlassverzeichnis von Prudence Bartlett gefunden habe, das mir gesagt hätte, wo das Buch geblieben ist, auch nicht mehr von diesen wahnsinnig produktiven Nachforschungen für meine Dissertation ablenken lassen. Jetzt kann ich mich für den Rest meiner Tage hier mit Putzen und Reparieren und Hausverkaufen beschäftigen, gehe von der Grad School ab, schließe mich der Fremdenlegion an …«
»Und der Typ?«, fragte Liz, ohne auf Connies Sarkasmus zu achten.
Connie nagte an ihrer Unterlippe und begann dann zu lächeln. »Er hat gesagt, dass sie das Feuerwerk vom Damm aus abschießen. Er kommt später vorbei, und dann gehen wir zusammen zu einer guten Stelle, die er kennt.«
»Eine ›Stelle, die er kennt‹«, äffte Liz sie nach und ahmte die Anführungszeichen mit den Fingern nach.
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