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Das Hexenkreuz

Das Hexenkreuz

Titel: Das Hexenkreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Muenzer
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Sattel aufnahm.
    „Was?“, rief
sie. „Das kann nicht dein Ernst sein! Das soll die ganze Pause gewesen sein?“
    „Natürlich!
Die Pferde haben getrunken und gegessen und wir auch.“
    „Ach, und
wie sieht es mit etwas Ausruhen aus?“
    „Komm,
jammere nicht rum. Ich möchte es heute bis hinunter nach Barisciano schaffen.
Dort in der Nähe suchen wir uns ein hübsches Plätzchen, wo du dich bis zum
Abend ausruhen kannst. Wir werden erst im Schutz der Dunkelheit weiterziehen.“
    Serafina
erhob sich grummelnd. Vier erschöpfende Stunden später, nach einigen Umwegen,
da sich mehrere Pfade als Sackgassen erwiesen hatten, kam endlich das kleine
Städtchen Barisciano in Sicht. Selbstbewusst thronte es unter dem Gipfel des
Monte della Selva. Vor bald zweitausend Jahren von den Römern als Siedlung
gegründet, war es im 13. Jahrhundert maßgeblich an der Gründung der Stadt
L´Aquila beteiligt gewesen. L´Aquila selbst lag kaum zwölf Meilen weiter
westlich hinter einem Bergmassiv verborgen.
    "Puh!
Wenn mich dein Bruder Piero je in die Finger bekommen sollte, lässt er mich
vermutlich wie die armen Weiber von Barisciano barbusig in L´Aquila
einmarschieren." Serafina spielte damit auf ein in Barisciano immer noch
gegenwärtiges und schmachvolles Ereignis an: Dem Eroberer Braccio da Montone
war es 1424 gelungen, Barisciano nach einer langen Belagerungszeit einzunehmen.
Zur Strafe hatte er alle Frauen des Ortes gezwungen, barbusig die zwölf Meilen
nach L´Aquila zu ziehen.
    "Das
denke ich kaum. Dazu war Piero früher viel zu sehr in dich verschossen",
deutete Emilia mit einem Zwinkern an.
    "Ja,
aber leider lässt nichts den Groll so sehr wachsen wie eine unerwiderte
Liebe", entgegnete Serafina weise.
    „Du kannst
immer noch behaupten, du wärst nur mitgekommen, damit ich nicht allzu viele
Dummheiten anstelle."
    „Du hast
Recht, die Wahrheit ist immer noch die beste Verteidigung“, grinste Serafina
gutmütig.
    Die
Vegetation war seit Santo Stefano vielfältiger geworden. Wälder und Sträucher
wechselten sich mit Weideflächen ab, deren sattes Grün bereits an einigen
Stellen durchbrach. Serafina erhob sich im Sattel und ließ den Blick über die
in der Morgensonne liegende Landschaft schweifen. „Es kann nicht mehr lange
dauern und die Transumanza setzt ein. Wenn wir Glück haben, sind die Herden
schon auf dem Weg. Die Schafe werden alle Spuren verwischen.“ Wie in jedem
Frühjahr würden sich zwei Millionen Schafe von der Küste aus in Bewegung setzen
und die fruchtbaren Hänge der Abbruzzen bevölkern, begleitet von Tausenden von
Hirten, Hunden, Pferden, Ziegen und Maultieren. Drei Wochen dauerte ihre Reise
von den Winterweiden in Apulien, bis sie im Mai in die Gegend ihrer
Heimatdörfer zurückkehrten. Dann überschwemmten die Herden die Hochebenen mit
ihren weißen Leibern, bis sie im Herbst erneut hinab ins Tal stiegen. Die
Schafe waren das weiße Gold der Abbruzzen, so wie Safran das gelbe Gold war. Die
Schafe boten den Menschen der Region Nahrung und Auskommen. Leider hielt das
Schäferhandwerk zwei Drittel der Männer aus den Dörfern mindestens sechs Monate
von ihrem Zuhause fern. Schon mit neun Jahren begleiteten die Jungen ihre Väter
auf die Wanderschaft. Im Herbst und Winter blieben die Frauen unter sich und
bildeten das Herz des Gemeinschaftslebens dieser kargen Gebirgsregion.
    Emilia und
Serafina tauchten in den Schutz eines kleinen Kiefernwaldes ein und folgten dem
Rauschen eines weiteren kleinen Gletscherbaches. In seiner Nähe ließen sie sich
auf einer Böschung nieder. Emilia tränkte zuerst die Pferde. Danach band sie
sie an einer mächtigen Weide fest, deren Zweige den Bach wie ein Dach
überspannten. Sie ließ ihnen genügend Strick, damit sie sich am zart
sprießenden Grün gütlich tun konnten. Nach einem weiteren Mahl aus Brot und
Käse lehnte sich Emilia angenehm gesättigt auf dem Sattel zurück. Eingelullt
von der Leichtigkeit ihrer Flucht gab sie sich angenehmen Wachträumen hin. Sie
sah sich bereits ein Schiff betreten. Mit geblähten Segeln trug es sie über das
weite blaue Meer, an dessen anderem Ende sie das Paradies der Freiheit
erwartete.
    „Sollte
nicht eine von uns Wache halten?“, durchdrang Serafina ihren Tagtraum.
    Die
angenehme Traumwolke verpuffte und Emilia fuhr hoch. Fast wäre sie
eingeschlafen. „Verflixt, du hast Recht. Ich übernehme die erste Wache, dann
wecke ich dich. Ruh´ dich aus, Serafina.“
    Emilia genoss
die Wärme der Frühlingssonne, die sich ihren

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