Das Hexenkreuz
ihr in der Kälte des Verließes erstarrter Körper
auftaute und ihre Glieder sich entspannten. Sie gab sich ganz der wohltuenden
Wirkung des Wassers hin. Schwerelos, das lange schwarze Nixenhaar hinter sich
hertreibend, schwebte sie an der Oberfläche dahin.
Nicht nur
ihr Körper erholte sich im Wasser, auch ihre trübe Stimmung hellte sich auf
Sie schöpfte
frischen Mut, vor allem da ihr neuerliches Gefängnis einen überaus positiven
Aspekt barg: Hatte sich der Abstand zu ihrem Bruder nicht um ein beträchtliches
Maß verringert? Kaum eine Tagesreise trennte sie jetzt noch von Rom! Der
Gedanke entfachte nicht nur ihren Mut neu, sondern auch ihren Kampfgeist. Womöglich
stellte sich die Überwachung in Bramantes Villa als weniger lückenlos heraus als
im Palazzo Sulmona? Derart optimistisch gestimmt sah Emilia dem bevorstehenden
Zusammentreffen mit dem Grafen entgegen. Sie erhoffte sich mit Recht von dieser
Begegnung die Auflösung des Rätsels ihrer abenteuerlichen Entführung.
Die
förmliche Einladung des Grafen zum Souper hatte ihr dessen Majordomus mit
gewichtiger Miene überbracht, kaum dass sie dem Bad entstiegen war. Angetan mit
einem leichten Frisiermantel, die Füße in winzigen weißen Satinpantöffelchen,
saß sie vor dem dreigeteilten Spiegel, während sich die junge Zofe mit ihrem
gewaschenen Haar beschäftigte. Es wurde ausgiebig gebürstet und parfümiert.
Emilia wurde durch diese Vorbereitungen fatal an jene vor ihrer Hochzeitsnacht
erinnert.
Falls
Bramante sich ein amouröses Abenteuer erhoffte, würde er eine böse Überraschung
erleben. Der Mann war ihr zuwider. Nichtsdestotrotz beschäftigten sich ihre
Gedanken intensiv mit ihm. Als hätte sie damit seinen Geist heraufbeschworen,
tauchte unvermittelt sein langes Gesicht mit der Raubvogelnase hinter ihr im
Spiegel auf. Emilia benötigte eine Sekunde, um zu realisieren, dass sie keinem
Trugbild erlag. Doch die Kratzspuren ihrer Nägel auf seinen Wangen ließen
keinen Zweifel daran. Er war es. Aber warum jetzt dieser Besuch, anstatt das
gemeinsame Souper abzuwarten? fragte sie sich verwirrt. Plötzlich fing sie
Bramantes Blick auf, der auf ihrer nackten Schulter ruhte. Emilia hatte nicht
bemerkt, dass ihr Frisiermantel auf der einen Seite etwas herabgeglitten war
und ihm ein hinreißend zartes Schlüsselbein enthüllte. War das der Grund seines
Kommens? Hatte er sich erhofft, in diesem intimen Rahmen mehr von den
Geheimnissen ihres Körpers zu erhaschen? Dabei hatte er in der unterirdischen
Krypta längst mehr von ihr zu Gesicht bekommen, als ihr lieb sein konnte.
Welche Absichten verfolgte er dann? Ruhig wandte sie sich auf dem mit einem
Leopardenfell bezogenen Hocker zu ihm um.
Zu ihrem
Erstaunen beugte Bramante demütig das Knie vor ihr. Er ergriff ihre Hand, als
wäre sie eine zerbrechliche Kostbarkeit und führte sie an die Lippen: „Meine
Teuerste, verzeiht diesen Überfall, aber ich konnte nicht länger warten. Ich
musste einfach jetzt kommen, um Euch für die Euch angediehene Behandlung um
Vergebung zu bitten. Ich versichere Euch, dass meine Männer aus eigenem Antrieb
gehandelt haben. Die beiden Unverschämten wurden hart bestraft. Auch möchte ich
Euch mein Bedauern über unser erstes unglückliches Zusammentreffen zum Ausdruck
bringen. Tatsächlich hattet Ihr jedes Recht, Euch darüber zu echauffieren.
Emilia, schönste aller Damen, sagt, darf ich darauf hoffen, dass Ihr mir
verzeihen werdet? Ihr würdet mich zum glücklichsten Manne unter der Sonne
machen. Ich bete Euch an, seit ich Euch das erste Mal erblickt habe!“
Emilia
glaubte ihm kein Wort. Was sollte diese schauspielerische Einlage? Doch
Bramantes Verhalten brachte sie auf eine Idee. In Sekundenschnelle wog sie ihre
Möglichkeiten neu ab. Wenn der Graf beschlossen hatte seine Taktik ihr
gegenüber zu wechseln, warum sich seinem Spiel nicht anschließen? War er nicht
Beatrices Todfeind? Ein gemeinsamer Feind war nicht selten die Basis für eine
Einigung. Falls der Graf tatsächlich ihrer Schönheit verfallen war, würde sie
daraus ihren Vorteil zu ziehen wissen. Mit einer kaum merklichen Bewegung ließ
sie den Frisiermantel wieder hinab gleiten. Bramantes Augen hefteten sich
sofort auf die zarte Haut und das angedeutete Tal zwischen ihren durch die Schwangerschaft
schwellenden Brust. Ohne sich selbst dessen richtig bewusst zu sein, setzte
Emilia ihre weiblichen Waffen zum ersten Mal mit Kalkül ein. Sie eröffnete ihre
eigene Partie: „Ihr habt natürlich Recht, mein
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