Das Hexenkreuz
in dieser Stadt.
Sie…“
Emanuele
warf seinem Freund einen warnenden Blick zu: „Es ist wohl kaum nötig, Emilia
mit all den Verwerflichkeiten, von denen wir Kenntnis haben, zu belasten. Wir
sollten uns darauf beschränken, ihr die bloßen Zusammenhänge zu schildern.“
„Nein“,
versetzte Francesco hart. „Deine Schwester ist alt genug, um die Wahrheit zu
erfahren. Die Welt ist, wie sie ist, und sie nimmt keinerlei Rücksicht auf
jüngferlichen Anstand. Außerdem habe ich den Eindruck gewonnen, dass deine
Schwester nicht von zimperlicher Natur ist. Sie ist dem gewachsen.“ Francesco
wandte sich ihr zu. Er sah sie an! Er nahm sie zur Kenntnis! Er hielt sie
nicht für zimperlich! Es war der erste direkte Kontakt, den Emilia an
diesem Abend für sich verbuchen konnte und sie schenkte ihm ein zaghaftes
Lächeln. Francesco nickte ihr ernst zu und fuhr fort: „Diese Personen haben
einen elitären Geheimzirkel gegründet, um den Vorrechten der alten Kaiser Roms
zu frönen. Die Mitglieder, Männer wie Frauen, feierten in ihren Palazzi Orgien
wie zur römischen Kaiserzeit. Die Vorbilder dieser Unmenschen waren die
grausamsten und blutrünstigsten unter ihnen: Tiberius, Caligula, Nero oder
Messalina, die mannstolle Gemahlin Kaiser Claudius´, die sich mit den Huren
Roms einen Wettstreit lieferte, wer mehr Freier beglücken konnte. Damals wie
heute mündeten deren perverse Bacchanale in Orgien aus Blut und Tod. Dafür
raubten sie willkürlich blutjunge Mädchen und Knaben, deren Willen man mit
Drohungen, Folter und Opium brach, um sie für jede Form von Exzessen gefügig zu
machen. Viele dieser jungen Leute tauchten später verstümmelt im Tiber wieder
auf. In diesem Zusammenhang stehen auch Gerüchte über einen barbarischen
Sonnenkult: Als Priesterinnen verkleidet sollen Aristokratinnen fremden Göttern
Menschenopfer dargebracht haben und sich im Blut ihrer Opfer gesuhlt haben. Die
Zahl der verschwundenen und ermordeten Kinder ging in die Hunderte. Man konnte
diese Vorfälle nicht länger verheimlichen, das Volk murrte. Doch bei den
Untersuchungen, die der Inquisitor Ganganelli anordnete, ist nie das Geringste herausgekommen.
Die Personen, die er mit der Aufklärung der Vorfälle beauftragt hatte,
verschwanden spurlos oder man fand sie tot in irgendeinem dunklen Loch. Die
Stimmen der Wahrheit verstummten; jedermann fürchtete, das gleiche Schicksal zu
erleiden. Ganganelli ließ bald darauf verlautbaren, dass diesen Gerüchten
keinerlei Wahrheit anhaftete und diese nur von böswilligen Zungen in die Welt
gesetzt worden waren, um Aristokratie und Klerus zu schaden. Die Akten wurden
geschlossen. Punkt. Zu viele Mächtige und Reiche gehörten diesem geheimen
Zirkel an. Sie regieren die Welt und können ungestraft jedes Unrecht begehen. Sie
sind das Recht! “, schloss Francesco hart. Er wirkte äußerlich ruhig, doch
Emilia konnte seine mühsam unterdrückte Erregung unter der Oberfläche spüren.
Emilia
wandte sich ihrem Bruder zu. Sie hegte einen Verdacht und die Furcht, dass sie
Recht haben könnte, schnürte ihr die Brust ab. „Sag mir, Emanuele… Könnte es
sein, das ihr beide die Nachforschungen auf eigene Rechnung fortführt?“ Der
Ausdruck in den Augen ihres Bruders genügte ihr. Emanuele hatte sie noch nie täuschen
können. Emilia konnte es nicht fassen, dass er sich auf derart törichte Art in
Gefahr begab. Aufgebracht sagte sie: „Was wollt ihr damit beweisen? Dass der
jetzige Papst persönlich in diese Praktiken verwickelt gewesen ist? Habt ihr
nicht eben selbst gesagt, dass alle tot oder verschwunden sind, die sich näher
mit dieser Angelegenheit befasst haben? Ich weiß, es ist eure
Rechtschaffenheit, die euch antreibt. Aber wollt ihr unbedingt jung sterben?“
Emilias Stimme bebte. Sie fürchtete bereits um das Leben dieser schönen jungen
Männer.
„Beruhige
dich, liebste Schwester. Wir gehen äußerst behutsam vor, niemand hegt einen
Verdacht gegen uns. Die Protokolle, die der verstorbene Papst unserem Pater
General am Vorabend seines Todes übergeben hat, berichten, dass der heutige
Papst Clemens XIV. die Herzoginmutter Beatrice im Laufe der Ermittlungen mehrmals
persönlich empfangen hat. Das letzte Mal an jenem Tag, an dem er die Beendigung
der offiziellen Untersuchung erklärt hat. Fakt ist, dieser geheime römische
Zirkel existiert bis zum heutigen Tage weiter! Die Orgien finden inzwischen
außerhalb Roms auf den jeweiligen Landsitzen der Aristokraten statt. Als Opfer
bedient man sich nun
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