Das Hexenkreuz
hast
Recht. Man sollte nicht immer vom Schlimmstmöglichen ausgehen. Es ist eine
Begabung der Jugend, in den Handlungen anderer das Gute entdecken zu wollen“,
lächelte Donna Elvira ihr zu.
„Selbstverständlich
können wir nicht sicher sein, Schwester“, räumte nun auch Emanuele ein. „Ein
Rest von Spekulation bleibt immer. Doch in einem sind wir uns einig: Wir wollen
es niemals erfahren. Deshalb haben wir einen Plan entwickelt, dich von hier
fortzubringen. Du bist in Rom nicht sicher. Der lange Arm der Herzogin reicht
bis in die Stadt, vielleicht sogar bis in diesen Palazzo. Die Zeit drängt.
Wir…“
„Warte,
Emanuele“, unterbrach ihn Elvira. Sie fixierte Emilia mit ihren
bernsteinfarbenen Augen, deren Tönung sie an ihre Tochter Serafina
weitergegeben hatte. „Ich würde gerne zu Ende anhören, was Emilia eben versucht
hat uns mitzuteilen. Was genau meintest du damit, dass wir uns mit unserer
Einschätzung irren könnten, meine Liebe?“
„Es ist nur
ein Gedanke“, erwiderte Emilia, plötzlich unsicher geworden.
„Nur Mut,
sprich ihn aus. Manchmal ist man so sehr in sein eigenes Denkmuster eingewoben,
dass man weder Anfang noch Ende des Fadens wiederfinden kann. Niemand vermag
das Phänomen der Engstirnigkeit besser einzuschätzen, als eine als Hexe
verunglimpfte Frau, das kannst du mir glauben.“
„Verzeiht,
Donna Elvira, aber mein Zögern ist keine Frage des Mutes. Vielmehr geht es um
das, worüber wir bei Eurer Ankunft gesprochen haben: Die angebliche Ermordung
des Papstes Clemens XIII. Mein Bruder und Pater Colonna haben sich auf riskante
Nachforschungen eingelassen. Man kann nicht im Trüben fischen, ohne Schlamm
aufzurühren. Wenn die Herzoginmutter eine so teuflisch kluge Frau ist, wie ihr
sagt, dann hat sie womöglich längst Verdacht geschöpft? Was wäre, wenn sie mich
mit ihrem Sohn verheiraten möchte, um meinen Bruder von weiteren
Nachforschungen abzuhalten? Könnte es nicht sein, dass sie darauf spekuliert,
dass Emanuele keinen solchen Skandal heraufbeschwören würde, der auch seine
Schwester beschmutzen könnte?“
Elvira
nickte beifällig. „Deine Erklärung ist nicht völlig abwegig. Aber leider kennst
du diese Frau nicht so, wie wir sie kennen, Contessina Emilia. Ich versichere
dir, wenn die Herzoginmutter Beatrice auch nur annähernd den Verdacht hegen
würde, dass dein Bruder ihren Machenschaften nachspürt, dann weilte Pater di
Stefano längst nicht mehr als Lebender unter uns. Ich sage dies nicht, um dich
zu beunruhigen, sondern um dir die Skrupellosigkeit dieser Frau vor Augen zu
führen. Emanuele hat Recht. Du musst Rom und Italien verlassen und das
möglichst bald. Längst geht es nicht mehr allein darum, dass Beatrice dich als
Frau für ihren einzigen Sohn erwählt hat. Niemand hat es je gewagt, der
Herzoginmutter Beatrice auf diese Weise die Stirn zu bieten. Beatrice wird
nicht eher ruhen, bis sie deiner habhaft wird. Dein Heil liegt daher einzig in
der Flucht. Wir schicken dich fürs erste nach Frankreich. Eine verheiratete
Schwester von Principe Colonna lebt dort in der Nähe von Paris. Sie wird dich
aufnehmen. Höre nun, welchen Plan Principe Colonna für deine Flucht entworfen
hat.“
Der junge
Priester begann zu sprechen.
Emilia erwachte sehr früh am nächsten Morgen. Neben ihr
schlief Serafina. Ihre Freundin hatte sich so tief in die seidene Decke
vergraben, dass lediglich ihre Nasenspitze daraus hervorlugte. Emilia streckte
sich ausführlich. Trotz des kurzen Schlafes war ihr Geist hellwach. Sie dachte
an den heftigen Disput, den ihre Weigerung, nach Frankreich zu flüchten,
ausgelöst hatte. Stattdessen hatte sie vehement ihren Wunsch verteidigt, sich
nach Amerika einzuschiffen. Sie war damit bei allen Beteiligten auf völliges
Unverständnis gestoßen. Einzig Serafina und Vittoria hatten sich aus der
Diskussion herausgehalten.
Die Fronten,
deren eine aus Francesco, Emanuele und Elvira und die andere aus Emilia bestanden
hatte, hatten sich längst verhärtet. Genau dann hatte Donna Elvira ihre Tochter
mit der Frage überrascht: „Was würdest du deiner Freundin raten, Serafina?“
„Da ich
weder das eine noch das andere Land kenne, fällt es mir schwer, einen Rat
beizutragen“, versuchte sich Serafina aus der Affäre zu ziehen.
„Deine
Neutralität in allen Ehren, meine Tochter. Doch solltest du dir rasch eine
eigene Meinung zulegen. Schließlich wissen wir beide, dass es hier auch um
deine Zukunft geht.“
„Was willst
du damit
Weitere Kostenlose Bücher