Das Hexenmal: Roman (German Edition)
Bonner und dem Bürgermeister mitangehört – allerdings auf der anderen Seite des Tores. Er stand erhöht auf einer Leiter und verfolgte das Spektakel bereits seit der Ankunft der Männer. Er hatte sich bis jetzt nicht gezeigt, da er Johann und Franziska noch etwas Vorsprung gewähren wollte.
Lutz Lambrecht war gleich nach dem Aufbruch der jungen Eheleute über die Felder nach Tastungen geritten, seine Schwester Annerose nach Hundeshagen.
Freifrau Hedwig hatte sich in ihre Privatgemächer zurückgezogen, denn der Anblick des Fackelzugs war ihr unerträglich gewesen. Adolph Ernst hatte das Gesinde in die Unterkünfte geschickt. Nur der Wache am Burgtor hatte der Freiherr befohlen, die Stellung zu halten.
Es herrschte Ruhe auf der Burg – zumindest auf der Seite des Hofes. An der anderen Seite des Tores aber waren noch immer erregte Stimmen zu hören, die Adolph Ernst aber nicht im Mindesten beunruhigten.
Entspannt schaute er zum Himmel. Es war bereits weit nach Mitternacht und sternenklar. Morgen würde wieder ein strahlend schöner Tag anbrechen.
Als erneut gegen das Tor geschlagen wurde, stieg von Wintzingerode die Leiter hinab und ging ohne Eile bis zum Westturm der Burg. Dort zersauste er sein Haar, als habe er geschlafen und sei soeben aufgestanden. Dann gab er Zeichen, das kleine Lukenfenster im Tor zu öffnen. Ein gähnender Wachposten fragte unbedarft: »Wer verlangt Eintritt?«
Vor Wut blitzende Augen blickten ihm durch die kleine Öffnung entgegen, und Bonner schrie: »Was fällt dir ein, uns so lange vor verschlossenem Tore stehen zu lassen?«
Weiter kam er nicht, denn Harßdörfer schob ihn zur Seite und fragte höflich: »Können wir bitte den Freiherrn von Wintzingerode sprechen?«
Das war Adolph Ernsts Stichwort, denn nun rief er vom Westturm aus: »Ist etwas passiert, dass man mitten in der Nacht meine Bettruhe stört?«
Der Wachposten rief zurück, dass der Rat von Duderstadt mit dem Bürgermeister an der Spitze vor dem Tor stünde.
»Wie kannst du es wagen, Bursche, die Ratsherren vor verschlossenem Tore warten zu lassen? Öffne sofort, und lass die Männer eintreten!«, rief der Lehnsherr entrüstet, zwinkerte dem Wachposten aber zu. Der senkte den Kopf, damit man nicht sah, dass ein Lächeln über sein Gesicht huschte.
Bürgermeister Harßdörfer und der Rat traten ein und brachten sofort ihr Anliegen vor. Derweil ging Bonner im Burghof auf und ab und spähte in jede Ecke.
Verständnisvoll blickte der Burgherr die Ratsherren an. In einigen Gesichtern konnte er Langeweile erkennen, andere schauten müde. Nur ein paar schienen auf Bonners Seite zu sein.
»Es tut mir sehr leid, Bürgermeister, aber ich kann Euch nicht weiterhelfen. Zumal ich weder einem Dieb noch einer Hexe Unterschlupf
gewähren würde. Außerdem hätte ich dazu gar keine Befugnis. Erst müsste der Senior der Familie von Wintzingerode sein Einverständnis geben«, sagte er in freundlichem, versöhnlichem Ton.
Bonner trat hinzu, und seine Augen funkelten Adolph Ernst böse an: »Ich glaube Euch nicht … Auch wenn Ihr der Freiherr von Wintzingerode seid. Ich spüre, dass mein Sohn und die Hexe hier gewesen sind … Ihr wisst nicht, wen Ihr beherbergt habt, mein Herr. Gefährlich ist die Magd, denn sie ist mit dem Teufel im Bunde und hat sicher einen Schadenszauber über Euch und die Euren gelegt. Außerdem hat sie meinem armen Sohn einen Liebestrank verabreicht, sodass er ihr hörig wurde und sogar mein Gold gestohlen hat …«
Erschrocken sah der Wachmann zu seinem Herrn auf. Fast unmerklich schüttelte Adolph Ernst den Kopf, um dem Soldaten zu bedeuten, dass er schweigen solle.
Für einen kurzen Augenblick kamen auch ihm wieder Zweifel, ob er richtig gehandelt hatte. Doch dann entsann er sich Franziskas freundlichem Gesicht und ihren ehrlichen Augen. Auch erinnerte er sich an Lutz Lambrechts und Annerose Bonners Aussagen über den gewalttätigen, unberechenbaren Bauern. Nein, Adolph Ernst war sich sicher, das Richtige getan zu haben. Nur mit halbem Ohr hörte er noch hin, als Bonner mit seinen Beschuldigungen fortfuhr. Dann sagte er, um den Hasstiraden des Bauern ein Ende zu setzen: »Entschuldigt meine Unhöflichkeit. Darf ich Euch etwas zur Stärkung anbieten? Ich habe ein Fass frisch gebrautes Bier in meinem Keller, das ich Euch gern kredenzen möchte.«
Bonner grummelte mürrisch, konnte der Versuchung allerdings ebenso wenig widerstehen wie die anderen Herren. Von Wintzingerode gab dem Wachposten
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