Das Hiroshima-Tor
konnte.
Die oberste der Kopien vermittelte allgemeine Informationen zum Thema.
Wenn Materie und Antimaterie zusammentreffen, lösen sie sich auf. Von dem Zusammenprall, der so genannten Annihilation
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, bleibt nichts übrig außer freigesetzter Energie. Aus diesem Grund wird die Antimaterie besonders als Energiequelle von Raumschiffen
und Waffensystemen erforscht.
Sowohl Teller als auch Sacharow, die beide auf ihrer Seite an der Entwicklung der Wasserstoffbombe beteiligt waren, befassten
sich schon in den vierziger Jahren mit den Möglichkeiten, die sich durch Antimaterie bieten. 1950, zwei Jahre vor der ersten
Wasserstoffbombe, wurde untersucht, ob sich die Fusionsreaktion durch eine Annihilationsreaktion in Gang setzen ließe. Da
man damals jedoch keine Antimaterie herstellen konnte, wurde die Wasserstoffbombe mit Hilfe einer auf Kernspaltung basierenden
Atombombe gezündet
...
Unter den Papieren lag Soiles Telefon. Timo blickte verstohlen zum Fahrer, der mittlerweile das Radio eingeschaltet hatte.
Er tippte den PI N-Code ein, den sie beide seit Jahren hatten. Aber jetzt erschien ein rotes X auf dem Display. Der Code war falsch. Warum er geändert
worden war, konnte man leicht erraten.
Timo schluckte seine Bitterkeit und fing wieder an, in den Papieren zu blättern. Soile hatte aus einem in den siebziger Jahren
erschienenen Buch mit dem Titel ›Die Stimme der Wissenschaft‹ das Kapitel kopiert, das Yoshima Nishikawa vefasst hatte.
Timo las den Text, in dem Nishikawa den Tag schilderte, der die große Wende in seinem Leben brachte und der zugleich einer
der wichtigsten in der Geschichte der Menschheit war.
Der Morgen des 6. August. Ich wachte im Haus meines Onkels auf, in Ushida, nördlich von Hiroshima. Der Himmel war klar und die Luft warm, es
versprach heiß zu werden. Ich hatte schlecht geschlafen. Den Tag zuvor hatte ich mit anstrengenden Malerarbeiten verbracht,
bei denen ich meinem Onkel half, und in der Nacht hatte es mehrere Male Fliegeralarm gegeben, wie seit Wochen jede Nacht,
denn die amerikanischen
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B-2 9-Bomber flogen den Biwasee nordöstlich von Hiroshima an. Die Stadt war aber von Bombardierungen verschont geblieben.
Die Sirene fing an zu heulen, aber ich schenkte ihr keine sonderliche Beachtung. Eine Minute später verstummte sie wieder,
was für eine lediglich leichte Bedrohung sprach. So ging es jeden Morgen, wenn die amerikanische Wetterbeobachtungsmaschine
auf ihrem Routineflug die Stadt überquerte.
Um 8.15 Uhr war ich im Hof. Es waren nirgendwo Flugzeuge zu hören und auch sonst keine Geräusche. Nichts störte die Stille.
Auf einmal zerschnitt ein Blitz den Himmel, so unwahrscheinlich hell, dass sogar die Sonne daneben verblasste. Ich konnte
noch einige Schritte machen, dann warf mich ein plötzlicher Druck in die Luft. Nach dem Aufprall zitterte die Erde unter mir,
während man zugleich eine enorme, donnernde Explosion hörte. Holzsplitter, Glas und Stücke von Ziegeln regneten auf mich nieder.
Als nichts mehr durch die Luft flog, hob ich den Kopf und sah, dass das Haus meines Onkel eingestürzt war. Ich glaubte, es
sei von der Bombe getroffen worden. Wegen des Staubs überall war es dunkel geworden: Mitten am Morgen war plötzlich Abend.
Aus der Ruine war kein Laut zu hören. Im Schock räumte ich ein paar Ziegelsteine zur Seite, bis ich begriff, dass die Mühe
vergebens war. Ich ging auf die Straße, um Hilfe zu holen, da sah ich, dass alle Häuser zerstört waren. In den Ruinen sah
man Blut, Mörtel, Bücher, Körperteile.
Ich schlug den Weg zur Innenstadt und zu meinem Elternhaus ein. Es war vollkommen still. Von Minute zu Minute wurde die Dunkelheit
um mich herum dichter. Ich sah einen Mann und eine Frau, beide blutüberströmt, und andere Menschen, die schweigend und schockiert
von der Innenstadt wegliefen, ohne auf irgendetwas um sie herum zu reagieren. Nirgendwo sah ich auch nur ein einziges Gebäude,
das nicht zerstört war.Allmählich stieg aus der Stille das Brausen brennender Ruinen auf.
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Obwohl erst hier und da erste Flammen zu sehen waren, erblickte ich entsetzliche Brandwunden auf den Körpern der Menschen.
Manche hielten wegen der Schmerzen die Hände erhoben, andere erbrachen sich im Gehen. Auf der Flussböschung lagen zahllose
Menschen, die sich krümmten und übergaben. Im Fluss trieben Leichen, weil sich Menschen hineingestürzt hatten, um den Schmerz
von den
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