Das Hiroshima-Tor
für seinen Lebensabend zu sichern.« Sie waren am Ende der Rolltreppe
angelangt, und Timo ging weiter neben Heli her.
»Einer von Stepans Disketten hatte ein Zettel beigelegen, auf dem zwei Namen standen: der von Lucas und meiner. In der Hoffnung
auf Geld nahm Arkadi darum Kontakt zu uns auf. Ich fragte Lucas, ob der Russe auch auf ihn zugekommen sei. Keiner von uns
beiden glaubte, dass diese dürftigen, alten Informationen irgendeinen Wert haben könnten. Außer vielleicht der Teil, der mit
Finnland zu tun hatte.«
Wie unter Hypnose ging Timo den endlos langen Gang entlang. Die Stimmen der anderen Passagiere verflüchtigten sich in der
Ferne, und in seinem Kopf hallten allein Helis ruhig ausgesprochene Worte wider.
»Ich habe das Material einem ehemaligen Kommilitonen von mir gezeigt: Asko Lahdensuo. Er kennt sich in der Politik aus, er
hat Kontakte ... und er war bereit, die Originaldiskette zu kaufen. Asko wollte sie in Paris entgegennehmen, aber irgendwas ging daneben.
Offenbar hatte Arkadi das Material gleichzeitig auch an die Amerikaner verscherbelt. Mehr weiß ich nicht.«
Timo wollte etwas entgegnen, aber das Reden fiel ihm schwer. Es war, als klebten seine Stimmbänder aneinander. Er musste sich
räuspern, um etwas sagen zu können. »Womit hat das KG B-Material zu tun?«
»Ich habe doch gerade gesagt, dass ich nicht mehr weiß.«
Timo musterte Heli skeptisch. Ihr versteinertes Gesicht verriet nicht, ob sie die Wahrheit sagte.
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»Dieses langsame Dahinzockeln mit chemischem Treibstoff ist einfach unerträglich«, sagte David Perry über den Motorenlärm
der
Gulfstream
hinweg zu Novak auf der anderen Seite des Ganges. »Vor allem wenn das Thema des Abends die Antimaterie ist.«
Vor den kleinen, ovalen Fenstern war es dunkel. Sie flogen über das nördliche Mittelmeer von Barcelona nach Florenz.
»Es würde sich doch nicht lohnen, Antimaterie als Kraftstoff für normale Flugzeuge zu benutzen?«, fragte Novak.
»Bei DARPA und im Labor der Luftwaffe liegen fertige Pläne für einen Motor, der in Raumschiffen wie in Flugzeugen eingesetzt
werden kann. In beiden Fällen besteht der wesentliche Vorteil in der Verringerung der Treibstoffmasse. Da ist der Antimaterieantrieb
unschlagbar. Mein Gott ... ein Milligramm Antimaterie setzt bei seiner Zerstörung eine Sprengkraft von 44 Tonnen TNT frei! Ein Staubteilchen davon reicht, um einen Flugzeugträger zu vernichten – falls man den Antistoff ans Ziel
bringt. Das Problem ist aber die Speicherung.«
Perrys Haut glänzte im Licht der Leselampe vor Schweiß. Mit jeder einzelnen Zelle strahlte er Erregung und Erwartung aus,
und alles entlud sich in einem unaufhörlichen Redestrom. »Mit einem Milligramm Antiprotonen wäre die Fahrt zum Mars in einem
knappen Monat zu machen, und nicht in zwei Jahren, wie mit den chemischen Treibstoffen heutzutage.«
»Ich weiß nicht, ob ich nach dieser Geschichte von den Robotersoldaten noch irgendetwas glaube, was du über die Erfindungen
von DARPA erzählst.« Auf Novaks Gesicht lag eine mindestens ebenso starke Anspannung wie auf Perrys.
|407| »An sich ist ein mit Antimaterie betriebener Motor nichts Besonderes«, meinte Perry lässig. »So ein Ding funktioniert extrem
simpel. Die Wärme, die bei der Annihilation entsteht, wird in eine verdampfende Flüssigkeit umgewandelt, die Schubkraft erzeugt.
Wenn alles gut läuft, kann die Ausströmgeschwindigkeit des Antriebsstrahls halbe Lichtgeschwindigkeit betragen. Außerdem werden
die heutigen Raumfähren nur am Anfang beschleunigt, danach dümpeln sie bloß im Standardtempo auf ihr Ziel zu. Der Antimaterieantrieb
macht eine Beschleunigung während der gesamten Reise möglich.«
»Und wenn wir in Volterra das finden, was wir glauben, dann wird all das bald möglich sein?«
Perry nickte. »Die Energie, die an die Masse eines Teilchens und seines Antiteilchens gebunden ist, verwandelt sich bei ihrem
Zusammenprall in hundertprozentige Strahlenenergie, das heißt, sie wird annihiliert. Von der Ruhemasse der Atomkerne, die
an einer Kernreaktion beteiligt sind, wird nur ein Promill in Energie umgesetzt. Wenn irgendwo auf der Erde Antimaterie in
der Menge von Colins Gewicht auftauchen würde ...«
Novak merkte, dass Perry aus rein wissenschaftlicher Perspektive und keineswegs spöttisch auf Baumgartens Übergewicht anspielte.
»... dann würde die Energie von mindestens hunderttausend Hiroshima-Bomben als reine
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