Das Hiroshima-Tor
Abendmaschine.«
»Nimm Bilder von dem hier mit.«
Timos Gedanken galoppierten. Konnte man die SMS von Heli Larva als Indiz dafür nehmen, dass sie an der Aktion beteiligt gewesen
war? Aber warum hätte sie ihm dann vorab den Hinweis geben sollen? Hatte sie am Ende doch nur darauf angespielt, dass sie
Timo wiedersehen wollte? Der Gedanke bedrückte ihn – war ihm aber auch nicht gänzlich unangenehm.
Interessiert sah sich Timo das Stück Eisenrohr an. Statt eines Handys hätte es ebenso gut Sprengstoff enthalten können. Eine
grauenhafte Vorstellung. Wenn die Aktivisten in der Lage gewesen waren, einen fremden Gegenstand im Endlager oder im Kraftwerk
zu verstecken, konnten sie dort auch anderes verstecken. Alle möglichen Gegenstände. Für die Behörden war das ein Alptraum.
Buchstäblich.
Der Text von der Computerdiskette, die in der Handtasche aus der Seine geholt worden war, stand Satz für Satz auf einem Blatt
Papier, das man mit Reißzwecken an der Wand befestigt hatte.
Das sechste Direktorat hat für Nachforschungen der Operation Phönix, die als dringlich eingestuft werden, 600 000 Dollar bewilligt ...
|82| Dem Satz folgte ein Kommentar in chinesischer Schrift.
Aus wissenschaftlichen und psychologischen Gründen ist eine Klärung der Angelegenheit von vorrangiger Bedeutung. In der ersten
Phase muss ermittelt werden, ob die Informationen von Adler zutreffen ...
Das Wort »Adler« war mit einer Fußnote versehen, die aus einem komplett beschriebenen Blatt Papier bestand.
Hat Cello Kontakt mit Vaucher-Langston gehabt, gibt es für uns einen Weg, auf ihn zuzugehen?
»Cello« war grün unterstrichen und hinter »Vaucher-Langston« ein Fragezeichen gemalt worden.
Die vierzigjährige Jin Luan stand vor dem Blatt. Am Schreibtisch hinter ihr saß ein Mann und tippte auf der Tastatur eines
Computers. Auf dem Tisch nebenan stand ein Computer gleichen Fabrikats und dahinter ein dritter und ein vierter. Die Reihe
der Tische und der daran sitzenden Männer und Frauen reichte zwanzig Meter weit in den hallenartigen Raum. Über jedem Tisch
hing eine Lampe, deren Licht die emsig arbeitenden Leute wie ein Kegel umhüllte.
Trotz des Klapperns der Tastaturen und des Surrens der Drucker und Kopiergeräte war die Atmosphäre im Saal konzentriert und
intensiv, beinahe andächtig.
Jin, die vor dem Blatt Papier an der Wand stand, zog mit einem Textmarker eine leuchtend gelbe Linie über den Namen »Vaucher-Langston«.
Jørgensen hatte den Professor in England stundenlang verhört, aber als Resultat hatte er nur einen einzigen Namen herausbekommen:
Bronisław Zeromski.
|83| 11
Timo zuckte zusammen. Er richtete sich auf seinem Stuhl auf und starrte auf den Bildschirm. Draußen, vor dem Hauptgebäude
der KRP, waren die Stämme der Kiefern nass vom Nieselregen. Die träge Sonntagsatmosphäre übertrug sich nicht auf Timos Leihbüro.
Innerhalb eines Augenaufschlags hatte sich seine Enttäuschung in Aufmerksamkeit verwandelt. Er hatte gerade eine Nachricht
bekommen: An den überprüften Tagen fand sich auf den Passagierlisten der
Finnair-
Flüge zwischen Helsinki und Paris kein Passagier namens Harri Lahdensuo. Auch nicht bei den Direktflügen der
Air France
.
Aber beim
Malev-
Flug MA6746 um 9.45 Uhr ab Budapest war ein Passagier namens
Asko
Lahdensuo an Bord gewesen. Sein Ticket war auf die Verbindung Helsinki – Budapest–Paris und zurück ausgestellt.
Timo biss in einen Schokoriegel und ging rasch ins Internet. Er gab den Namen Asko Lahdensuo in eine Suchmaschine ein. Innerhalb
einer halben Minute lag ihm die Information vor, die ihn kaum noch überraschte: Asko Lahdensuo war Harri Lahdensuos Bruder.
Diplomingenieur, Eigentümer und Vorstandsvorsitzender eines erfolgreichen Maschinenbauunternehmens und aktiver Politiker –
zwar keine landesweite Größe, aber im Bezirk Oulu dafür umso einflussreicher, ein Lokalpolitiker, der zum engsten Kreis um
die Premierministerin und ihren Mann zählte.
Diese Erkenntnis komplettierte das Bild im Nu. Timo öffnete weitere Dateien, die mit Asko Lahdensuo zu tun hatten. Seine Firma
war in den achtziger Jahren im Osthandel sehr aktiv gewesen |84| und hatte sich nun auf den neuen russischen Markt eingestellt. Unter anderem lieferte sie Geräte, die beim Ölbohren benötigt
wurden, an russische wie an westeuropäische Kunden.
Wie hatten die Lahdensuos von der KG B-Diskette erfahren wollen? War sie echt, oder hatte man
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