Das Hiroshima-Tor
die Straßenlampen waren spärlich gesät.
An der Ecke zur Sienkiewicza blieb er stehen. Vor Zeromskis Haus blinkte das Blaulicht eines Krankenwagens. Dahinter parkte
ein Polizeiauto.
Timos Kehle entwich ein Laut, der an ein Schluchzen erinnerte. Er starrte auf Zeromskis Haustür, Leute gingen ein und aus.
Darunter waren auch Männer, die nicht wie Polen aussahen, sondern eher wie Amerikaner.
Langsam entfernte sich Timo rückwärts, dann drehte er sich um und ging davon, mit immer schneller werdenden Schritten, bis
er schließlich im Laufschritt durch eine alte Gasse eilte.
Durch diese Gasse war er vor wenigen Stunden mit Zeromski gegangen, und jetzt war der alte Mann vermutlich tot. Es bestand
kein Zweifel daran, dass die Mörder von Zeromski nun auch hinter ihm her waren. Waren es wirklich Chinesen? Ein sonderbarer
Gedanke, aber nicht unmöglich. Bislang deutete alles darauf hin, dass große Dinge auf dem Spiel standen, und zu dieser Konstellation
passte China als aufsteigende Großmacht und einziger ernsthafter Herausforderer der USA sehr gut.
Timo ging weiter und befürchtete, sich in den mittelalterlichen Gassen zu verirren. Noch immer pulsierte in ihm der Name,
den Zeromski genannt hatte.
Isama Nishikawa
.
Die Gasse führte zu einem kleinen Platz, in dessen Mitte eine einsame Laterne und eine Telefonzelle standen. Timo grub ein
paar Münzen aus seiner Tasche und betrat die Zelle. Entschlossen wählte er die finnische Vorwahl und danach die Handynummer
seines Sohnes.
Am anderen Ende klingelte es. Schnell, flehte Timo innerlich. |257| Er wollte Aaro nicht mit seinem eigenen Telefon anrufen, denn wenn die Verfolger das Gespräch aufschnappten, erführen sie,
wen er angerufen hatte. Und Aaro durfte auf keinen Fall in die Geschichte verwickelt werden.
Eine verschlafene Stimme meldete sich: »Aaro ...«
»Papa hier. Würdest du mir einen Gefallen tun?«, fragte Timo so ruhig wie möglich, aber es gelang ihm nicht, seine Aufregung
zu verbergen. »Nimm dir einen Stift und schreib auf, was ich dir sage.«
Timo konnte sich genau vorstellen, wie der Junge nach einem Stift suchte. Aaro hatte an seiner Stimme gehört, dass jetzt keine
Zeit für Scherze war.
»Schieß los.«
»Isama Nishikawa.« Timo buchstabierte den Namen. »Japanischer Meeresbiologe, verheiratet mit einer südafrikanischen Kollegin.
Such im Internet, wo sich der Mann aufhält, am besten gleich die genaue Adresse. Ich ruf dich in einer Viertelstunde wieder
an.«
»Zehn Minuten genügen.«
Aaros Selbstbewusstsein entlockte Timo ein Lächeln. »Alles klar.«
»Wenn wir DSL hätten, könnte ich das in fünf ...«
»Wir werden darüber nachdenken.«
Timo verließ die Telefonzelle und atmete durch. Er richtete den Blick zum Himmel, wo die Anzahl der Sterne gewachsen zu sein
schien, seit er sie früher am Abend zuletzt betrachtet hatte. Nach der Begegnung mit Zeromski sah der Himmel ohnehin anders
aus. War es möglich, dass Zeromskis Theorie stimmte? Konnte es sein, dass alte Kulturen Kontakt zu Leben außerhalb der Erde
gehabt hatten?
Nein. Es bestand keinerlei Anlass, daran zu glauben, bis jemand konkrete Beweise dafür lieferte.
Er ging auf der Warszawska weiter und merkte, dass er sich den Geschäftsstraßen der Altstadt näherte. Auf der Stelle zog er
den Zettel aus der Tasche, auf dem der Name des Hotels stand, |258| das er gleichzeitig mit dem Flug gebucht hatte. Aber es war sinnlos danach zu suchen, ihm war gerade jede Übernachtungsmöglichkeit
recht – wenn auch nicht unbedingt direkt neben Zeromskis Wohnung.
Er überquerte die auch in der Nacht noch belebte Bastzowa. Seit dem Anruf waren acht Minuten vergangen, darum kehrte er zu
der Telefonzelle zurück. Was das Internet anging, war Aaro ein Zauberer, aber trotzdem machte sich Timo nicht allzu große
Hoffnungen, Isama Nishikawa zu finden.
»Wie sieht’s aus?«, fragte er.
»Was willst du wissen?«, fragte Aaro selbstzufrieden zurück. »Allein bei Google gibt es zig Verweise auf Isama Nishikawa.«
»Was für welche? Hast du Kontaktadressen gefunden?«
»Der Großteil der Suchergebnisse hat mit seinen wissenschaftlichen Texten zu tun. Aber hier gibt es eine Meeresbiologin namens
Sally Nishikawa, offensichtlich seine Frau.«
»Findest du ihre Angaben?«
»Frau Nishikawa arbeitet im meeresbiologischen Forschungszentrum in Barcelona. Dort ist sie vor acht Jahren von der Rhodes-Universität
in Südafrika hingegangen. Sie ist
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