Das Hochzeitsversprechen: Roman (German Edition)
meiner Rede auf den Bildschirm und fange an zu tippen.
Abschließend möchte ich allen heute hier Anwesenden danken. Sowohl denen, die einen Preis gewonnen haben, als auch denen, die wütend mit den Zähnen knirschen. Ich kann euch sehen! (Pause für Gelächter.)
»Lottie, du weißt doch, dass heute unsere große Preisverleihung ist«, sage ich mit schlechtem Gewissen. »Ich muss in fünf Minuten da sein. Du weißt, wenn ich könnte, würde ich sofort zu dir rüberkommen.«
Zu spät merke ich, dass mir ein schrecklicher Fehler unterlaufen ist. Ich habe ausgesprochen, dass sie mir leidtut. Und wie zu erwarten fällt sie über mich her.
»Rüberkommen?«, keift sie böse. »Du musst nicht rüberkommen! Meinst du etwa, das mit Richard würde mir was ausmachen? Meinst du, mein ganzes Leben dreht sich nur um einen Mann? Ich habe nicht mal an ihn gedacht . Ich wollte dir nur von meinen Studienplänen erzählen.«
»Ich weiß«, beschwichtige ich sie. »Natürlich.«
»Vielleicht sollte ich mich erkundigen, ob es ein amerikanisches Austauschprogramm gibt. Vielleicht sehe ich mir mal Stanford an …«
Sie redet und redet, und ich tippe immer schneller. Ich habe diese kurze Ansprache schon sechsmal gehalten. Es sind immer dieselben Worte, in anderer Reihenfolge.
Die Hotelbranche lebt von Innovation und Inspiration. Immer wieder staune ich über die Leistungen und Neuerungen, die erzielt werden.
Nein. Scheiße. Ich drücke Löschen und versuche es noch mal.
Immer wieder staune ich über die Leistungen und Fortschritte, die mein Kritikerstab und ich weltweit bezeugen können.
Ja. Das Wort »bezeugen« verleiht dem Anlass eine gewisse Würde. Fast könnte man meinen, wir hätten das vergangene Jahr mit Heiligen und Propheten verbracht und nicht mit braun gebrannten PR -Mädchen, die uns auf ihren Stöckelschuhen die neuste Technik zum Kühlen von Badetüchern am Pool vorführten.
Mein Dank gilt Bradley Rose, wie immer …
Danke ich Brad zuerst? Oder Megan? Oder Michael?
Ich werde irgendwen vergessen. Ich weiß es genau. Das ist ein ehernes Gesetz von Dankesreden. Man vergisst jemand Entscheidendes, dann greift man sich noch mal das Mikrofon und kreischt dessen Namen hinein, aber keiner hört mehr zu. Dann muss man ihn suchen und ihm eine grausame halbe Stunde lang persönlich danken, während ihr beide lächelt, aber über seinem Kopf eine Denkblase schwebt, mit den Worten: »Ich habe längst vergessen, dass Sie existieren.«
Mein Dank gilt allen, die diese Preisverleihung organisiert haben, allen, die diese Preisverleihung nicht organisiert haben, allen meinen Mitarbeitern, allen Ihren Mitarbeitern, unseren Familien, allen sieben Milliarden Menschen auf dem Planeten, Gott/Allah/Sonstwem …
»… Eigentlich sehe ich es positiv. Wirklich wahr, Fliss. Es ist eine Chance, mein Leben neu auszurichten, weißt du? Ich meine, ich brauchte das.«
Ich zwinge mich, dem Telefon zu lauschen. Lotties Weigerung zuzugeben, dass irgendwas nicht stimmt, zählt zu ihren liebenswertesten Qualitäten. Ihre unerschütterliche Tapferkeit ist so herzzerreißend, dass ich sie umarmen möchte.
Aber manchmal ist es auch zum Haare raufen. Ich möchte schreien: Hör auf, von diesem blöden Studium zu quatschen! Gib einfach zu, dass du verletzt bist!
Denn ich weiß, was kommt. Ich kenne das schon. Bei jeder Trennung ist es dasselbe. Sie fängt ganz tapfer und positiv an. Sie weigert sich zuzugeben, dass irgendwas los ist. So macht sie es tagelang, manchmal wochenlang, mit starrem Lächeln im Gesicht, und Leute, die sie nicht kennen, sagen: »Wow, Lottie hat die Trennung wirklich gut verwunden.«
Bis die verspätete Wirkung einsetzt. Was passiert, und zwar jedes Mal. In Form irgendeiner impulsiven, himmelschreienden, völlig durchgeknallten Aktion, die ihr etwa fünf Minuten Euphorie beschert. Jedes Mal ist es was anderes. Ein Tattoo am Knöchel, eine total schräge Frisur, eine überteuerte Wohnung in Borough, die sie dann mit Verlust verkaufen musste. Die Mitgliedschaft in einer Sekte. Ein Intim-Piercing, das sich entzündet hat. Das war das Schlimmste.
Nein, ich nehme es zurück. Das Schlimmste war die Sekte. Die haben ihr sechshundert Pfund abgeluchst, und sie hat immer noch was von »Erleuchtung« gefaselt. Elende Aasgeier. Ich glaube, sie kreisen über London und wittern die frisch Verlassenen.
Erst nach dieser Phase der Euphorie bricht Lottie schließlich zusammen. Und dann geht es mit der Heulerei los und den Tagen, an
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