Das Hochzeitsversprechen: Roman (German Edition)
hören.
Über die Lautsprecher wird ein Flug angesagt, und Lottie fragt sofort: »Was ist das? Wo bist du?«
»Bahnhof«, lüge ich leichthin. »Muss los. Viel Glück!«
Ich stelle mein Telefon ab und sehe mich nach Noah um. Ich habe ihn kaum einen halben Meter entfernt auf einem Plastikstuhl zurückgelassen, aber er hat sich zum Tresen vorgearbeitet und ist in ein Gespräch mit einer Stewardess verstrickt, die vor ihm hockt und ihm aufmerksam zuhört.
»Noah!«, rufe ich, und beide Köpfe drehen sich um. Die Stewardess hebt eine Hand, steht auf und bringt ihn zu mir zurück. Sie ist üppig und braun gebrannt, mit großen blauen Augen und einem Dutt, und als sie näher kommt, steigt mir ihr Parfüm in die Nase.
»Tut mir leid.« Ich lächle sie an. »Noah, bleib hier. Nicht herumstreunen.«
Die Stewardess betrachtet mich eingehend, und ich wische mir mit der Hand über die Lippen, für den Fall, dass ich einen Krümel am Mund haben sollte.
»Ich möchte nur sagen«, sagt sie eilig, »dass ich von den Qualen Ihres kleinen Jungen gehört habe, und ich finde, Sie sind alle sehr tapfer.«
Einen Moment lang fällt mir keine Antwort ein. Was mag Noah ihr erzählt haben?
»Und ich finde, dieser Sanitäter sollte einen Orden bekommen«, fügt sie mit bebender Stimme hinzu.
Ich werfe Noah einen bösen Blick zu, doch er sieht mich nur arglos und gefasst an. Was soll ich tun? Wenn ich erkläre, dass mein Sohn Märchen erzählt, stehen wir alle dumm da. Vielleicht wäre es einfacher mitzuspielen. Jeden Moment gehen wir an Bord der Maschine. Wir sehen sie nie wieder.
»So schlimm war es gar nicht«, sage ich schließlich. »Vielen Dank für …«
»So schlimm war es gar nicht?«, wiederholt sie fassungslos. »Aber es war doch alles wirklich dramatisch!«
»Äh … ja.« Ich schlucke. »Komm, Noah, kaufen wir uns ein Wasser.«
Bevor dieses Gespräch weitergehen kann, schiebe ich ihn zu einem Getränkeautomaten in der Nähe. »Noah«, sage ich, sobald die Frau uns nicht mehr hören kann. » Was hast du der Dame erzählt?«
»Ich habe ihr erzählt, dass ich mal bei Olympia mitmachen möchte, wenn ich groß bin«, erklärt er prompt. »Beim Weitsprung. So ungefähr.« Er reißt sich los und hüpft über den Teppich.
Ich geb’s auf. Demnächst werde ich mal ein ernstes Wort mit ihm reden müssen – aber nicht jetzt.
»Natürlich darfst du.« Ich verwuschle ihm die Haare. »Aber hör zu: Du sollst nicht mit Fremden reden. Das weißt du doch.«
»Die Frau war keine Fremde«, erklärt er vernünftig. »Sie hatte ein Namensschild, also wusste ich, wie sie heißt. Nämlich Cheryl.«
Manchmal ist der Logik eines Siebenjährigen nichts entgegenzusetzen. Wir kehren zu unseren Plätzen zurück, und mit strenger Miene setze ich ihn neben mich.
»Guck dir dein Aufkleberbuch an und rühr dich nicht von der Stelle .« Ich zücke mein BlackBerry und beantworte schnell ein paar E -Mails. Gerade habe ich mein Okay für eine Beilage zum Thema »Urlaub am Polarkreis« gegeben, als ich stutze. Etwas hat meine Aufmerksamkeit erregt. Der obere Teil eines Kopfes hinter einer Zeitung. Ein dunkler Haarschopf. Langfingrige, knochige Hände blättern um.
Das gibt’s doch nicht.
Wie angenagelt starre ich hinüber, bis er wieder umblättert und ich einen kurzen Blick auf seine Wangenknochen werfen kann. Er ist es. Sitzt fünf Meter entfernt, mit einer kleinen Reisetasche zwischen den Füßen. Was zum Teufel macht er hier?
Sag nicht, dass er dieselbe Idee hatte wie ich.
Als er die nächste Seite umblättert, ruhig und ungerührt, packt mich der Zorn. Es ist alles seine Schuld. Ich musste mein Leben auf den Kopf stellen, meinen Sohn aus der Schule nehmen und mir die ganze Nacht Sorgen machen, nur weil er seine Klappe nicht halten konnte. Er ist derjenige, der mit der Tür ins Haus gefallen ist. Er hat alles vermasselt. Und jetzt sitzt er da und wirkt so cool und entspannt, als wäre er auf dem Weg in den Urlaub.
Sein Handy klingelt, und er legt die Zeitung weg, um ranzugehen.
»Klar«, höre ich ihn sagen. »Das mache ich. Wir werden das alles besprechen. Ja, ich weiß, dass der Zeitfaktor eine Rolle spielt.« Er wirkt gestresst. »Ich weiß, es ist nicht ideal. Ich tue mein Bestes, unter den schwierigen Umständen, okay?« Einen Moment lang hört er zu, dann antwortet er: »Nein, lieber nicht. Wir wollen der Gerüchteküche keine Nahrung geben. Okay. Stimmt. Ich melde mich, wenn ich da bin.«
Er steckt sein Handy weg und liest
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