Das Höllenbild
Hinterlassenschaften aus der Vergangenheit zu stören und aus ihrem tiefen Schlaf zu erwecken.
Hoffentlich passierte uns das nicht bei dieser Arlene Shannon, denn der Magie oder alten Kraft des Bildes traute ich mittlerweile alles zu. Suko erreichte die rotbraun gestrichene, sehr hohe Tür als erster. Er drückte die Klinke und stemmte seine Schulter gegen das Holz, um die Tür nach innen zu schieben.
Wir traten in einen ziemlich großen Raum. Man konnte ihn schon als Saal bezeichnen. Diese Größe hatte das Bild oder die Wand auch verdient, denn auch als Einzelstück kam sie sich nicht verloren vor. An einer Seite des Raumes sahen wir vier hohe Fenster, durch die zwar genügend Tageslicht fiel, das trotzdem nicht ausreichte, um für eine adäquate Helligkeit zu sorgen, die das Gemälde verdient hatte. Deshalb waren noch zwei Strahler eingeschaltet, deren Licht direkt auf das große Bild fiel und sich dort auch an den wichtigen Stellen verteilte.
Als Vorteil sah ich es an, daß wir die einzigen Besucher waren. Während ich nach links ging, wandte sich Suko der rechten Seite zu. Ich schaute kurz aus dem Fenster, sah einige kahle Bäume und dahinter die alten Mauern des zweiten Museums.
Es war still um uns herum. Ehrfürchtig still, wie ich es bei Museumsbesuchen aus meiner Kinderzeit kannte. Bevor ich das Bild betrachtete, schaute ich mir die Rückseite an.
Rohes, altes und braunes Mauerwerk, das noch so aus sah, wie man es aus dem unterirdischen Felsen herausgesprengt hatte. Da war nichts glatt geschliffen worden, doch an der Frontseite sah es schon anders aus, wo Suko mich erwartete und mir einen langen Blick zuwarf, als ich vor dem Bild stehenblieb.
Er sprach mich nicht an, so konnte ich mir das Motiv in aller Ruhe betrachten und stellte fest, daß es mir sehr gut beschrieben worden war.
Der aufgesprayte schwarze Totenkopf und auch das in blutiger Schrift geschriebene Wort Power fielen mir sofort auf. Sie störten den Gesamteindruck, der eigentlich von der Figur des schwebenden Gottes eingenommen wurde, denn er lag dort wie ein Wächter, der auch über das Gesicht der Frau wachte, deren Körper nicht zu sehen war. Statt dessen hatte der Künstler dort Wolken aufgemalt. Sie schimmerten in den Farben Rot und Braun. Aus ihnen hervor wuchs das fromme Gesicht mit dem Tuch darum. Unter dem Götterboten saß sie.
Ich mußte schon tief Luft holen, als ich mich zum erstenmal mit dieser Person beschäftigte. Sie paßte nicht in das Motiv hinein. Abgesehen von den Schmierereien hatte das Gemälde bei mir einen ziemlich frommen Eindruck hinterlassen. Das Vorhandensein der Terroristin gab dem Bild jedoch einen sexistischen Touch. Sie hockte mit leicht gespreizten Beinen auf dem Boden. Es war nicht zu erkennen, ob sie einen Rock oder eine Hose trug. Das Kleidungsstück sah irgendwie zerschnitten aus, und das Oberteil mußte die Frau aufgezerrt haben, denn ihre Brüste waren unbedeckt.
Wenn man bei einer Frau von einem wilden Gesicht sprechen konnte, dann bei ihr. Es war nicht absolut schön oder traumhaft, aber es hatte etwas, das Männer verrückt machen konnte. Vielleicht lag es auch an der wilden, roten Mähne oder an den grüngrauen Augen, auf die der Betrachter schaute, aber trotz allem kam mir das Gesicht auch vor, als gehörte es zu einer doch erschöpften Frau, die einiges hinter sich hatte, bevor sie gerettet worden war. Etwa eine Minute hatte ich mir Zeit gelassen, bevor ich den Kopf drehte.
Das kam Suko gerade recht, denn er war schon dabei, mich anzusprechen. »Nun, was sagst du?«
Ich hob die Schultern. »Da sind zwei Welten zusammengestoßen. Die alte und die neue…«
»Ich denke mehr an die Frau.«
»Arlene Shannon scheint wirklich ein Feger gewesen zu sein. Ich denke auch, daß sie bei den Männern kaum Schwierigkeiten gehabt hat, Nachschub für ihre Bande zu bekommen. Wie dem auch sei, auf dem Bild macht sie einen müden Eindruck.«
»Das dachte ich auch.«
»Jetzt willst du wissen, woher es kommt.«
»Nicht unbedingt, das kann ich mir selbst zusammenreimen. Sie wird es nicht einfach gehabt haben. Der Commander und seine Männer waren ihr auf den Fersen. Sie hat es gerade noch geschafft, in dieses Bild zu verschwinden.«
»Wenn das tatsächlich stimmt, Suko, woher wußte sie dann wohl über diesen Fluchtweg Bescheid?« Ich überlegte etwas.
»Wußte sie wirklich Bescheid? Oder mußte sie Bescheid wissen?«
»Denkst du an einen Zufall?«
»Ja, so ähnlich. An einen Zufall und an eine magische
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