Das Höllenbild
Hose um ihre Beine flatterten. Dann öffnete sie die Tür, schaute hinaus in eine fremde Umgebung, sah keine verdächtigen Personen und huschte hinein in den Gang.
Daß es ein sehr großes Gebäude war, hatte sie schon festgestellt. Doch sie wußte erst richtig Bescheid, nach dem sie die zahlreichen Vitrinen gesehen hatte, die eine Gangwand säumten. Die unter Glas liegenden Ausstellungsstücke gehörten einfach in ein Museum hinein, ebenso wie das große Gemälde.
Arlene war sehr vorsichtig. Sie wollte auch von den wenigen Besuchern nicht entdeckt werden. Immer dann, wenn sie jemanden sah oder hörte, ging sie in Deckung.
Mal hinter einem Ausstellungskasten, mal hinter einer Vitrine. So kam sie dem Eingang immer näher, und sie sah auch einen Garderobenständer, an dem einige Mäntel hingen. Sie gehörten den Besuchern, die ihre dicke Winterkleidung nicht tragen wollten. Arlene Shannon lächelte, als sie auf den fünfbeinigen Ständer zulief. Unter den Mänteln fand sie schnell einen, der ihr paßte. Sie streifte den langen, rotbraunen Wollmantel über und mußte feststellen, daß sie die Waffen doch behinderten.
Wohin damit?
Sie sah eine schmale Tür, huschte darauf zu und hoffte, daß sie nicht abgeschlossen war.
Sie war es nicht. Hinter dieser Tür standen Putzmittel und Putzgeräte.
Die MPi und das Schnellfeuergewehr versteckte sie hinter vier zusammenstehenden Besen, schloß die Tür wieder ab, hörte die Stimmen einiger Besucher und gab sich plötzlich ganz locker wie ein normaler Gast in diesem großen Museum.
Sie ging nicht zu schnell und auch nicht zu langsam auf den Ausgang zu.
Noch vor den anderen erreichte sie das Freie, wo sie erschauderte, weil sie mit einer derartigen Kälte nicht gerechnet hatte. Scharf wehte sie ihr ins Gesicht.
Sie ging nach rechts. Dann weiter. Sie schaute sich um. Sie sah das zweite Gebäude, auch ein Museum, und sie runzelte die Stirn, als sie die ersten Autos entdeckte.
Nicht weil es Autos waren, ihr fielen die Modelle auf. Arlene kannte die meisten von ihnen nicht. Neue Typen, mehr kleinere, die hatte es zu ihrer Zeit nicht gegeben.
»Zu meiner Zeit«, flüsterte sie. »Wie sich das anhört…«
Für sie hörte es sich nicht gut an, denn sie konnte davon ausgehen, daß einige Jahre vergangen waren. So lange also hatte sie in diesem Gemälde gesteckt.
Scharf holte die Frau Luft und spürte dabei den Strom der Kälte in ihrer Nase. Für einen Moment hatte sie der Gedanke daran leicht schwindelig werden lassen, das Gefühl war schnell vorbei, denn sie gehörte zu den Menschen, die immer mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen standen. Es ging weiter. Sie mußte sich mit den neuen Gegebenheiten abfinden, auf die Lage einstellen. Das würde ihr nicht schwerfallen. Sie dachte an ihre Aufgabe, an den Job, daran, daß sie und ihre Freunde den verhaßten englischen Staat hatten in die Knie zwingen wollen.
Aber der Staat hatte sich auch auf sie eingestellt und zurückgeschlagen.
Sie waren gejagt worden.
Ihre Freunde hatten es nicht geschafft. Sie waren den Jägern nicht entkommen. Saßen entweder hinter Gittern oder waren tot.
Furchtbar…
Nur sie lebte noch.
Allein war sie.
Aber sie hatte einen unsichtbaren Begleiter. Es war die Rache, die in ihrem Herzen tobte. Sie fühlte sich wie die Königin der Nacht aus der Oper ›Die Zauberflöte‹, und Arlene Shannon war auch bereit, sich zu rächen.
Die alten Zeiten konnte sie nicht aufleben lassen. Außerdem wußte sie nicht genau, wie viele Jahre vergangen waren, aber eines stand fest: Gewisse Regeln würden sich nie verändern. Die galten heute und auch in der Zukunft.
Sie verließ das Museumsgelände. Die Erinnerung kehrte zurück. Sie wußte jetzt, daß sie sich in London befand, in einer Stadt, die sie nicht mochte. Da war ihre irische Heimat schon besser. So wundervoll weit, so grün, so romantisch, fröhlich und auch traurig.
Hier herrschte Hektik, aber hier lebten auch Menschen, die nicht zu ihren Freunden gehörten. Das Erinnerungsvermögen hatte in der langen Zeit nicht gelitten, sie brauchte nur noch gewisse Informationen, um sich der ersten Aufgabe widmen zu können. Arlene schlug gegen den Griff ihres Revolvers. Die Probleme würde sie auf ihre Art und Weise lösen, das stand für sie fest. Als sie das helle Lachen und die Schreie hörte, schaute sie nach links. Mehrere Halbwüchsige glitten über den Boden hinweg und sahen aus, als würden sie schweben.
Inline-Skater hatte es zu ihrer Zeit nicht
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