Das Hohe Haus
Ehec-Erreger in Sprossen, ob die Reaktorkatastrophe in Fukushima, ob Noroviren in Kindertagesstätten oder falsch deklarierte Lebensmittel«, am Ende wird man es ihr anlasten, dass Konzerne Profite über Gemeinwohl stellen. Aber hat nicht schon Gerhard Schröder konstatiert, wer gesundes Essen haben wolle, müsse mehr Geld ausgeben, anders gesagt, wer diese Mittel nicht habe, möge sich auf früheres Ableben einrichten? Nimmt man hinzu, dass ein effektiver Verbraucherschutz Verbände und Interessenvertreter gegen sich aufbringt, dann ist die Argumentationslinie vorgezeichnet: Rhetorisch drastisch auftreten, von »Hintermännern« reden, von »dreistem und skandalösem Etikettenschwindel«, dann die Aktionsschritte nennen: »zuerst Aufklärung, dann Verbraucherinformation und schließlich Konsequenzen ziehen«, anschließend die staatliche Überwachung hochfahren, einen »nationalen Aktionsplan« verabschieden, »Kontrollsysteme der Supermarktketten« stärken und sich »am Montag beim Ministerrat in Brüssel dafür starkmachen, dass endlich die Herkunftskennzeichnung verpflichtend kommt«.
Gerade noch sah ich Ilse Aigner, die Verleiherin der »Deutschen Rapsöl-Medaille«, auf einem Foto. Da kraulte sie einen Hund auf einer Wiese, während drei Blechbläser in Lederhosen die Wehrlose von rechts beschallten. Auf der Regierungsbank ist sie anders: Manchmal bullig offensiv, kann sie die Zürnende geben, mit der nicht gut Kirschen essen ist. Andererseits wirkt ihre gute Laune ansteckend bis auf die Tribüne. Heute aber hat sie ein Verbraucherschutz- ABC vorgetragen, das nach rhetorischer Laubsägearbeit klang und das man im Fernsehen verhöhnen wird. Solange die Ministerin sprach, klang faktisch alles plausibel. Aber dann?
Ist es wahr, wie Ulrich Kelber ( SPD ) sagt, dass nach ihrer Regelung »Schwarzwälder Schinken aus Dänemark stammen kann«? Ist es wahr, dass ihr Vorgänger Horst Seehofer »dem Lkw-Fahrer, der den Gammelfleischskandal aufgedeckt hat, die Verdienstplakette des Ministeriums überreicht« hat, der Fahrer dann aber entlassen wurde und sich »die Mehrheit im Deutschen Bundestag einem Gesetz zum Schutz solcher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer« immer noch verweigert? Und höre ich recht, dass Volker Kauder ( CDU / CSU ) diese Forderung ungerügt mit dem Zwischenruf kommentiert: »Dann führen Sie die Blockwarte wieder ein«?
Es gibt aber einen Anwurf, der offenbar noch schwerer wiegt und den Hans-Michael Goldmann ( FDP ) vorbringt: »Wie gehen wir eigentlich miteinander um? Das ist doch nicht Ihr Ernst! Sie wollen doch Frau Aigner nicht ernsthaft unterstellen, dass sie sich im Schoß der Industrie wohlfühlt bzw. suhlt. Das kann doch nicht in Ihrem Kopf sein.« Jetzt ist es in meinem Kopf, das Bild einer Ilse Aigner, die sich im Schoß der Wirtschaft »wohlfühlt«, wenn nicht »suhlt«, womit das Bild zumindest viehwirtschaftlich intakt ist.
Für den Zuhörer changiert die Sprache des Parlaments zwischen grob vereinfachend und populistisch. So, wenn etwa Ralph Brinkhaus ( CDU / CSU ) resümiert: »Die Grundannahme von grüner und roter Verbraucherschutzpolitik ist: Der Verbraucher ist dumm; der Anbieter ist böse. (…) Wir glauben an die Mündigkeit der Verbraucher.« Vergeblich, denn wie der Verbraucher bei 100 000 Lebensmittelprodukten in den Supermärkten und etwa 800 000 Finanzprodukten auf dem Markt seine Mündigkeit erwerben soll, das weiß nicht mal der Markt, und das will er auch nicht.
Zugleich aber ist das Parlament damit beschäftigt, Nicht-Verstehen herzustellen. Manchmal muss eine Sache kompliziert scheinen, damit die Kompetenz der Volksvertreter umso nötiger werde. Erlöst uns von der Komplexität der Sachfragen, Abgeordnete, so denken die Wähler, nehmt uns das Wissen ab! Auch wegen des avancierten Expertentums auf der einen, dem Anspruch von Volksnähe auf der anderen Seite sind Personalisierungen, Psychologisierungen, Literarisierungen als Kontrastmittel so beliebt.
Schon fast im Aufbruch, lasse ich die Debatte über die Kulturwirtschaft noch ein wenig auf mich wirken. Alle Redner betonen, wie wichtig sie ist. Aber der Kulturstaatsminister spricht nicht, der Wirtschaftsminister fehlt. Dabei könnten sie hören, wie Dagmar Wöhrl ( CDU / CSU ) von der Kultur sagt, dass sie »kein weicher Standortfaktor« mehr sei, sondern mit ihren Umsätzen die der Automobilindustrie oder anderer großer Industriezweige erreiche. Das findet sich zwar in der Repräsentation durch das
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