Das Hohe Haus
Reich, ein gerade noch Entkommener und lange Verschollener, noch kurz vor seinem Tod unter Tränen sagte: Was ihm geschehen sei, sei »nie vorbei, und es kann Derartiges von den Deutschen immer wieder ausgehen«. Wem, wenn nicht Opfern, stehen solche Sätze zu, und wie beantwortet man sie?
Gibt es Gedenkreden auf der Höhe dieser Selbstkritik? Es ist schon wieder Erregung im Saal. Patrick Kurth ( FDP ), der sauber gescheitelte Redner mit dem raschen Umkippen in die Schärfe, bringt mit einem »Nie wieder« repetitiv seine Floskeln auf den Weg. Renate Künast gestikuliert aus der ersten Reihe mit ausgestrecktem Arm gegen das Rednerpult. Gerade parallelisiert der Redner, beklatscht von FDP und CDU / CSU , Nazis und Stasi und instrumentalisiert beide gegen die Linke. Ich schaue mir die Applaudierenden an. Im Spiegel dieses Applauses ist die sogenannte Vergangenheitsbewältigung nicht weit gekommen. Sie hat zu einer gewissen Schamlosigkeit in der Ausbeutung dieser Vergangenheit, ihrer Trivialisierung und Nutzbarmachung geführt, und das ist wohl das Gegenteil von Bewältigung.
Ganz anders Ernst-Dieter Rossmann ( SPD ), ein norddeutsch gefärbter Zausel mit lässig fallendem ergrauten Haar und Brille. Er ist, was er sagt, und entwickelt, was er zu sagen hat, leise und überzeugend. Schroffer könnte der Gegensatz zu seinem Vorredner nicht sein. Dieser hier entwickelt Lebensgeschichte, der Vorgänger kämpft mit militärisch schneidender Stimme vor allem um sich selbst. Rossmann hat zwar seine Blätter auf dem Tisch, spricht aber frei über »die Fähigkeit zu trauern«, eine Maxime formuliert er auch. Die SPD kann immer wieder diese Überzeugten aufbieten, die an das Gewissen nicht appellieren, sondern es verkörpern. Rossmanns Rede ist geradezu introvertiert und bindet weit mehr Aufmerksamkeit als das nassforsche Agieren des Vorgängers, das keinen Raum für Gedenken lässt. Selbst Rossmanns direkte Ansprache an den Innenminister ist persönlich und wird gehört. Am Schluss steht das Plädoyer für ein Jahrhundert der Versöhnung. Als Rossmann aber abgeht, rührt sich aus dem Regierungsblock keine Hand zum Applaus.
Auch die Debatte um »Erwerb und Einsatz von Kampfdrohnen« ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr frisch. Hans-Peter Bartels ( SPD ) deklamiert mit monotoner Stimmstärke seine Anklage. Der Verteidigungsminister lesend, dann der auf ihn einredenden Kristina Schröder folgend, hebt auch mal den Kopf, schnappt ein paar Brocken auf, schweigt. Die Kameras folgen jeder Bewegung, schwenken auf den Uniformierten der Bundeswehr hinter ihm. Das Parlament ist nun besser besetzt. Müntefering sitzt ganz allein in einer hinteren Reihe. Steinmeier setzt sich zu ihm, man lacht. Kauder kommt, man lacht schallend zu dritt mit zurückgelegten Köpfen.
Jetzt steht Verteidigungsminister Thomas de Maizière ( CDU / CSU ) selbst am Rednerpult, steht klein, dunkel gekleidet mit gestreiftem Schlips, ein Vollzugsbeamter in Kriegsfragen. Die CDU beklatscht jeden seiner Sätze mit doppelter Phon-Stärke und sei er noch so floskelhaft oder selbstgerecht. Steinmeier und Kauder sitzen inzwischen weit hinten und debattieren, während der Verteidigungsminister schon deshalb nicht um sein Amt kämpft, weil er den Angreifern nicht auf die »Leimspur« geht, wie er sagt. Er kann seiner Sache sicher sein, weiß er doch die Verantwortung für die Anschaffung des nun untauglichen Kriegsgeräts auf das ganze Haus, mit Ausnahme der Linken, verteilt.
Sein Tenor ist zunächst von angenehmer, arrivierter Sachlichkeit. Am liebsten redet er offenbar aus dem Innenleben von Maschinen, Einsätzen, Kommandos, beleiht dabei die Ehre der Soldaten und macht sich so immun. Über Erwerb und Einsatz der Kampfdrohnen soll er reden. Über den Erwerb sagt er fast nichts, über den Einsatz das zu Erwartende. In Teilen hält er seine Rede vom Januar noch einmal, verweist auf Beerdigungen, die in diesem Zusammenhang nichts verloren haben, lässt alle Selbstkritik vermissen und versteigt sich zuletzt in die seelenlose Schlussformel: »Die Bundeswehr besteht aus Menschen, die verantwortungsvoll und im Rahmen der Gesetze handeln.« Das ist weder in Frage gestellt worden noch unterliegt es der Expertise des Ministers. Der aber geht offenbar nicht ohne Stolz an seinen Platz, begleitet vom frenetischen Applaus seiner Partei.
Paul Schäfer ( DIE LINKE ) opponiert tapfer, wird aber schon dafür beschimpft, dass er überhaupt die Möglichkeit eines Kampfdrohnen-Einsatzes ins
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