Das Horror-Hirn
Stellen. Die Vorstellung, Suko hier verletzt liegen zu sehen, wollte nicht aus ihrem Kopf.
Auch dort sah sie niemand.
Aber wo steckte er?
Freiwillig war er nicht ohne Auto aus der Tiefgarage verschwunden. Ihr kam sofort der Gedanke, dass man ihm aufgelauert, ihn bewusstlos geschlagen und entführt hatte. Wie John auch. Aber bei Suko? Bei einem Mann, der immer sehr vorsichtig war und einen Riecher für Gefahr hatte? Es war sicherlich schwer für die andere Seite gewesen. Allerdings zeigte es auch ihre Klasse. Shao ging davon aus, dass sie ihren Freund hier unten in der Garage nicht mehr finden würde. Auch hatte sie versprochen, Sir James wieder anzurufen. Er wartete bestimmt. Es bestand ja noch die winzige Hoffnung, dass Suko nicht den Wagen genommen hatte, sondern mit der U-Bahn gefahren war.
In der Wohnung angekommen, musste Shao zunächst einen Schluck Wasser trinken, weil ihre Kehle trocken war. Erst als das Glas leer war, tippte sie die Nummer ein und schaute dabei auf ihre leicht zitternden Finger.
Sir James meldete sich sofort.
»Ist er schon bei Ihnen?«, fragte Shao.
»Nein.«
»Dann wird er auch nicht mehr kommen.«
Pause. Nur kurz. »Was macht Sie so sicher, Shao?« Sir James’ Stimme blieb unnatürlich ruhig.
»Sein Wagen steht noch in der Tiefgarage. Ich meine, Sir, dass Suko sie allein nicht verlassen hat, und ich glaube auch nicht, dass er die U-Bahn genommen hat.«
»Ja, dann wäre er hier.«
»Für mich steht fest«, sagte sie nach einem langen Atemzug, »dass man ihn entführt hat. Es war der perfekte Plan, wie auch bei John Sinclair. Man hat auf ihn gewartet und ihn dann überrascht, was gar nicht einfach ist. Aber daran erkennen wir, mit welchen Gegnern wir es zu tun haben. Die überlassen nichts dem Zufall.«
Sir James hatte Shao nicht unterbrochen. Jetzt sagte er mit gepresst klingender Stimme: »Ich befürchte, dass Sie Recht haben, Shao – leider. Erst John, dann er. Man will uns schwächen. Oder man hat uns bereits schwach gemacht?«
»Aber wer, Sir? Wer steckt dahinter und zieht die Fäden?«
»Ich habe nicht die Spur einer Ahnung, Shao. Ich weiß es nicht. Ich werde auch keine Vermutungen äußern, um Sie nicht auf einen falschen Gedanken zu bringen.«
»Was können wir überhaupt tun?«
»Eine gute Frage. Auch da muss ich leider passen. Wahrscheinlich gar nichts. Die andere Seite hält die Trümpfe in der Hand. Jetzt kann sie damit wuchern.«
»Gegen uns.«
»Das denke ich.«
»Aber so leicht war es nie!«, rief Shao in den Hörer hinein. »Das begreife ich nicht. Da haben sich ungezählte Schwarzblüter fast die Köpfe zerbrochen und es nicht geschafft, aber plötzlich sind gleich zwei verschwunden.«
»Alles so klar, Shao. Was mich wiederum darauf bringt, dass es möglicherweise keine dämonischen Kräfte waren und wir wirklich unsere Experten in die Londoner Unterwelt schicken sollen. Mehr kann ich im Moment auch nicht raten.«
»Das glaube ich Ihnen gern, Sir. Aber wissen Sie, worüber ich noch nachgedacht habe?«
»Nein, wie sollte ich?«
»Wer wohl der nächste sein wird, den man entführt.«
Die Worte hatten Sir James getroffen. Er legte eine Pause ein. Dann fragte er mit leicht veränderter Stimme: »Wie kommen Sie darauf, Shao?«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen«, antwortete sie mit einem bitteren Lachen. »Es ist mir einfach so in den Sinn gekommen, wissen Sie.«
»Wirklich nur so?«
»Nein«, gab Shao mit leiser Stimme zu. »Es kann auch sein, dass jemand dabei ist, das gesamte Sinclair-Team aus dem Verkehr zu ziehen.«
Sir James schwieg. Er ging auch bei seiner Antwort auf das Thema nicht ein. Er sagte nur: »Es muss irgendwann etwas passieren. Das heißt, die andere Seite wird sich melden. Sie hat jetzt zwei Trümpfe in der Hand.«
»Wenn dem so ist, Sir, was tun Sie dann?«
»Das weiß ich nicht.«
Damit war das Gespräch beendet, und Shao konnte nicht behaupten, dass sie sich wohler fühlte. Vielmehr kam sie sich vor, als wären ihre Beine mit Blei gefüllt.
Sie ließ sich in einen Sessel fallen und starrte mit kreidebleichem Gesicht ins Leere...
***
Ich lag auf meinem Bett, auf meiner Pritsche, wo auch immer, und war weiterhin von diesem verdammten Grau umgeben, das einfach keinen klaren Blick zuließ.
Die Zeit schwamm dahin.
Sekunden, Minuten, vielleicht auch Stunden. Ich wusste es nicht mehr, denn mir war das Gefühl für Zeit verloren gegangen. Manchmal kam ich mir wie auf einem Luftkissen liegend vor, dann wiederum war die
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