Das Hospital der Verklärung.
hatte er nie wie ein Kind behandelt. Wenn der Knabe in dem dämmerigen Stübchen erschien; redete er mit ihm wie mit einem Erwachsenen,der zum Beispiel nicht gut hören kann, wodurch ein Gespräch mit ihm dauernd unter Mißverständnissen und Unterbrechungen leidet. Dessenungeachtet redete er auf Stefan ein, den Mund voll kleiner Schrauben, in einer angesengten Schürze, von der Drehbank zum Schraubstock und wieder zur Drehbank schreitend, als hielte er einen Vortrag, der mit Pausen besonders andächtigen Basteins gespickt war. Was sagte er eigentlich? Stefan wußte es heute nicht mehr genau, zumal da er damals noch zu klein gewesen war, um den Sinn dieser Ansprachen verstehen zu können; aber sie mochten etwa so gelautet haben: »Das, was war und verging, ist nicht, als wäre es nie gewesen. Es verhält sich damit wie mit einem Stück Kuchen, das du aufgegessen hast: Morgen hast du nichts mehr davon. Daher könnte man sich eine Vergangenheit andichten, die man nie besessen hat; glaubt man nur daran, dann ist es, als hätte man sie wirklich erlebt.« Ein andermal dozierte er: »Wolltest du etwa auf die Welt kommen? Nein, nicht wahr? Du konntest das wirklich nicht wollen, weil es dich ja gar nicht gab. Siehst du, auch ich habe nicht gewollt, daß du auf die Welt kommst. Das heißt, einen Sohn wollte ich schon, aber nicht dich, denn ich kannte dich ja nicht, folglich konnte ich dich auch nicht haben wollen … Einen Sohn im allgemeinen ja, aber du bist der wirkliche …«
Stefan sagte eigentlich selten etwas und bat den Vater auch nicht um Erklärungen. Einmal ergab es sich aber doch – er war gerade fünfzehn –, daß er den Vater fragte, was er tun würde, wenn ihm die Erfindung, an der er arbeitete, gelungen sei. Der Vater verfinsterte sich, und schließlich erwiderte er nach längerem Schweigen, er würde eine neue in Angriff nehmen. »Wozu?« fragte Stefan rasch zurück. Diese Rede war ebenso wie die erste dem tief geheimgehaltenen, aber mit den Jahren immer stärkerenWiderwillen gegen den sonderbaren Beruf seines Erzeugers entsprungen, der – davon wußte der Junge ein Lied zu singen – der Gegenstand allgemeinen Kopfschüttelns war; das Odium dieser Verschrobenheit fiel auch auf ihn zurück. Herr Trzyniecki gab seinem halbwüchsigen Sohn zur Antwort: »Stefek, wer wird denn so fragen! Sieh mal, wenn man einen Sterbenden fragt, ob er noch einmal leben möchte, wird er ganz gewiß einwilligen und gar nicht erst danach forschen, wozu er leben soll. Genauso ist es mit meiner Arbeit.«
Dieses eifrige und aufreibende Treiben brachte nichts ein, und so mußte Stefans Mutter, genauer gesagt deren Vater, den Lebensunterhalt bestreiten. Herr Trzyniecki lebte demnach auf Kosten seiner Frau, worüber Stefan, als er es erfuhr, so empört war, daß er seinem Vater eine Zeitlang nichts als Verachtung entgegenbringen konnte. Ähnliche, wenngleich nicht so heftige Empfindungen hegten für ihn auch seine Brüder; aber im Laufe der Zeit renkte sich alles wieder ein, wie das bei jedem Dauerzustand der Fall ist, der die Menschen schließlich gleichgültig werden läßt. Frau Trzyniecka liebte ihren Mann, aber alles, was er tat, lag außerhalb ihres Begriffsvermögens; sie führten einen Kleinkrieg miteinander, ohne es recht zu wissen, es war wie ein dauerndes Kollidieren zweier Dinge, die verschiedenen Sphären angehörten: der Werkstatt und der Wohnung. Der Vater hatte gar nicht einmal die Absicht, die Zimmer in eine Zweigstelle der Werkstatt zu verwandeln, dies geschah irgendwie ganz von selbst: Auf Tischen, Schränken und Kommoden türmten sich Drähte und mancherlei Mechanismen zuhauf, und die Mutter bangte um ihre Tischdecken, Spitzenservietten, Rhododendrons und Araukarien; der Vater liebte das Grünzeug nicht, beschädigte heimlich die Wurzeln und freute sich im stillen, daß die Pflanzen verwelkten; die Mutter hingegenverlegte wohl beim Großreinemachen einen kostbaren Draht, ein unersetzliches Schräubchen, aber es geschah doch alles unabsichtlich. Wenn Herr Trzyniecki arbeitete, dann schien er auf einer weiten Reise zu sein, von der er ernstlich nur in den sich regelmäßig wiederholenden Krankheitsperioden heimkehrte. Und obgleich dieses Leiden Frau Trzyniecka wirklich zu Herzen ging, war sie doch am ruhigsten, wenn ihr Mann stöhnend, hilflos, von Wärmflaschen umgeben, im Bett lag, denn in solchen Augenblicken begriff sie wenigstens, was er wollte und was mit ihm geschah.
Der eherne Hall der schlagenden Uhr
Weitere Kostenlose Bücher