Das Hospital der Verklärung.
und deklamierte mit tiefer, schwerer Stimme:
»Only the dead men know the tunes
The live world dances to …«
»Was ist denn nun die Literatur für Sie?« wagte Stefan nach einer Weile zu fragen.
»Für den Lesenden ein Versuch zu vergessen. Für den Schöpfer – ein Versuch zur Rettung … wie alles.«
»Ihr Mystizismus …«
Stefan hatte kein Glück: Er kam nicht dazu, seine bestenTrümpfe ins Gespräch zu werfen, denn Sekulowski kletterte aus der Unendlichkeit wieder herunter auf die Erde und schnaubte los: »Ich ein Mystiker? Woher haben Sie denn das? Bei uns braucht einer nur drei-, viermal etwas zu veröffentlichen, und schon bekommt er einen Zettel von geradezu grabschriftähnlicher Wirkung angehängt: ›subtiler Lyriker‹, ›Stilist‹, ›Vitalist‹. Die Kritiker, die ich bisweilen Kritins zu nennen pflegte, sind die Ärzte der Literatur, denn sie stellen falsche Diagnosen wie ihr auch, wissen genauso, wie es sein müßte, und sind ebensowenig imstande wie ihr, irgendwie zu helfen … Mit Gewalt haben die mich zum Mystiker gestempelt, und wer? Solches Gelichter, diese Flegel und Tölpel. Es ist nur eine Ungereimtheit mehr, die zu der Million anderer kommt, wenn einer, der im Besitz eines Hirns ist, das dem meinen ähnlich sein soll, gewissermaßen mit dem Darm denkt.«
»In unserem Gespräch sind die Rollen ungleich verteilt – kein Dialog, sondern ein doppelter Monolog mit Vorteilen für Sie«, sagte Stefan. Er beschloß, sich zu konzentrieren und Sekulowski im Frontalangriff niederzuringen. In diesem Augenblick hatte er seine Medizin völlig vergessen.
»Ich kenne Ihre Werke. Sie suggerieren die Existenz einer Wirklichkeit, die anders ist als die ›Wirklichkeit des Seins‹. Sie schildern Welten, die nicht existent, wenngleich möglich sind, in der Art der Riemannschen negativ gekrümmten Räume … Aber auch die uns umgebende Welt bietet, wie Sie ja selbst erklärt haben, genug Interessantes. Warum schreiben Sie dann so wenig darüber?«
»Unsere Umwelt? So, Sie sind also der Meinung, ich, ›erfinde Welten‹? Sie hegen demnach keinerlei Zweifel hinsichtlich der Identität der Welt, die Sie und mich umgibt, der Welt, in deren Mittelpunkt Sie auf diesem weißgestrichenen Schemel sitzen?«
Stefan fühlte, dieser erste Schlag sei danebengeraten, aber er antwortete natürlich: »Bis zu einem gewissen Grade – nein.«
Sekulowski hörte nur dieses Nein, denn das paßte ihm ins Konzept. »Ich sehe das mit anderen Augen. Neulich gestattete mir Herr Dr. Krzeczotek, durch ein Mikroskop zu schauen. Er hatte dort, wie er mir nachher erzählte, rosa gefärbte Plattenepithelien beobachtet, unter denen sich, palisadenähnlich angeordnet, dunkle Diphtheriebakterien in der charakteristischen Keulenform befanden; ich hab’s doch richtig behalten, nicht wahr?«
Staszek bestätigte es.
»Ich aber sah ein Archipel brauner Inseln, gleichsam Korallenatolle in einem tiefblauen Ozean, in dem rosa Eisschollen schwammen, getrieben von schwankenden, weittragenden Strömungen …«
»Diese Atolle waren ja gerade die Bakterien«, bemerkte Staszek.
»Mag sein, aber ich habe das nicht gesehen. Wo bleibt also die gemeinsame Welt? Bedeutet ein Buch einem Buchbinder das gleiche wie Ihnen?«
»Zweifeln Sie gar an der Möglichkeit einer Verständigung der Menschen untereinander?«
»Unser Gespräch ist viel zu akademisch. Ich kann nur das eine einräumen, daß ich tatsächlich gewisse Pinselstriche im Weltgemälde verlängere, daß ich stets die letzte Konsequenz anstrebe, die sich im Endeffekt natürlich auch als Inkonsequenz erweisen kann. Nichts weiter.«
»Somit ein logizisierter Unsinn? Das ist eine Möglichkeit von vielen, und es leuchtet mir nicht ein, warum …«
»Jeder von uns stellt eine Möglichkeit dar, die in das Stadium der Notwendigkeit übergegangen ist«, unterbrach Sekulowski ihn, und Stefan kam ein Gedanke in den Sinn, den er einst in einer Stunde des Alleinseins gezeugthatte. Er führte ihn an, da er glaubte, damit imponieren zu können. »Ist Ihnen schon einmal der Gedanke gekommen: ›Ich, der ich Samenzelle und Ei war‹?«
»Interessant. Gestatten Sie, daß ich mir das notiere? Selbstverständlich nur, sofern Sie selbst kein literarisches Material sammeln …«, versetzte Selukowski, und während Stefan in dem Gefühl schwieg, plagiiert zu werden, ohne formell dagegen protestieren zu können, warf er in großen, schrägen Schriftzügen ein paar Wörter auf ein Blatt, das er einem Buch
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