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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Nosilewska. Sie schob ihm sacht die Decke vom Kopf, die seine dicken roten Finger im Augenblick zurückzuziehen versuchten, und streichelte mit unendlich zarter und sanfter Gebärde sein rauhes, borstiges Haar. Das Gesicht dem Fenster zugewandt, war sie in dieBetrachtung weiter Fernen versunken, obgleich vier Schritt hinter dem Fenster eine hohe Mauer die Sicht versperrte.
    Stefan blickte zur Seite. Da sah er den anderen Katatoniker im Schatten einer Nische lehnen; er hatte seine ewige Wanderung eingestellt und starrte die dunkle Frauensilhouette an. Trzyniecki wollte hineingehen und eine Erklärung verlangen, aber er zog sich zurück, so leise er konnte.

ADVOCATUS DIABOLI
    E S WAR Mai geworden. Das Relief der Wälder, die die Hügel im Rund als weite, geschwungene Halbmonde umgaben, leuchtete in immer üppigerem Grün. Neue Blüten öffneten sich in der Stille der Nacht, und Blätter, die gestern noch mit zusammengerollten, klebrigen Flügeln herabhingen, reckten sich heute wie zum Fluge. Die Birken vor den Fenstern glichen nicht mehr mattglänzenden Silbersäulen, sondern weißlodernden Flammen. Herzförmige Pappelblätter tranken die Sonnenglut und nahmen eine honiggoldene Färbung an. Die ferne Straße, die sich in zahllosen Windungen zwischen den Hügeln dahinschlängelte, führte an einem geraden schwarzen Kreuz vorbei, das einsam und verloren am verschwimmenden Horizont aufragte. Hie und da ließen die Dünen ihr lehmiges Inneres sehen, großen Honigscheiben vergleichbar, in diese heitere Landschaft gestreut.
    Kauters trug Stefan auf, den Ingenieur Rabiewski aus der nahe gelegenen Kleinstadt zu untersuchen, der mit dem Auto eingeliefert worden war. Die Frau des Kranken berichtete von einer eigenartigen Wandlung ihres Mannes, die sich in den letzten Monaten vollzogen habe. Er war ein guter Ingenieur gewesen; als jedoch die kleine Fabrik, in der er früher gearbeitet hatte, durch eine Bombe zerstört wurde und die Deutschen das Land besetzten, verdiente er sich sein Geld mit Vorlesungen auf technischen Lehrgängen. Er war gesetzt und phlegmatisch, glatzköpfig, ein passionierter Angler, Bücherliebhaber und Vegetarier, und er galt als ein ehrenwerter Mann, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Seit Neujahr nun hatte ihn eine Schlafsucht befallen, die im Laufe der Zeit nur schlimmer wurde. Es kam vor, daß er beim Mittagessendöste und dann jäh aufschreckte. Er wurde faul, vernachlässigte seine Lektionen, und zugleich hatte er sich im Umgang mit den Seinen so sehr verändert, daß er kaum wiederzuerkennen war: Bei der geringsten Kleinigkeit brauste er auf, beruhigte sich aber ebenso plötzlich wieder, schlief dann gleich mehrere Stunden hintereinander, um schließlich mit reißenden Kopfschmerzen zu erwachen. Sonderbar war auch seine neue Manier zu witzeln: Ihn belustigten Vorkommnisse, die niemand außer ihm komisch fand.
    Der Pfleger, genannt Józef der Jüngere, ein stämmiger Kerl, der fähig war, jeden verzweifelten Widerstand mit einem Griff seiner schwieligen Pranken zu brechen, führte Rabiewski in das Untersuchungszimmer. Der feiste Mann mit dem graubekränzten Kahlkopf humpelte im kirschroten Anstaltsrock zum Stuhl und ließ sich so ungeschickt niederfallen, daß ihm die Zähne aufeinanderschlugen. Er beantwortete die an ihn gerichteten Fragen erst nach längerem Schweigen, man mußte sie ihm mehrmals wiederholen und sie so einfach wie möglich formulieren. Plötzlich bemerkte er auf dem Schreibtisch ein Stethoskop und begann leise zu kichern.
    Stefan legte gewissenhaft das Krankenblatt an und machte sich daran, die Reflexe zu untersuchen. Er befahl dem Ingenieur, sich auf dem Wachstuchtisch auszustrecken. Die Sonne loderte am Himmel, die Nickelgriffe im Kabinett sprühten in allen Regenbogenfarben. Als Stefan mit dem Gummihämmerchen die Sehnen beklopfte, erschien Kauters.
    »Nun, wie steht’s, Kollege?« Er war aufgeräumt und energiegeladen. Mit sichtlicher Befriedigung hörte er sich Stefans Ausführungen an.
    »Das gibt zu denken«, sagte er. »Ja, schreiben wir also vorläufig: suspectio quoad tumorem. Zu machen wären,sagen wir, Augenuntersuchung sowie Punktion. Na, und …« Er nahm einen Hammer und pochte gegen Rabiewskis dünne Beine. »Aha! Wie? Und nun berühren Sie mal mit der linken Ferse das rechte Knie. Nein, nicht so. Erläutern Sie’s ihm, Kollege.« Damit trat er ans Fenster. Währenddessen erging sich Stefan in lauten Erklärungen. Dann drehte Kauters sich um und kam

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