Das Hospital der Verklärung.
zurück, zwischen den Fingern ein paar Blätter zerdrückend, die er von einem Zweig am Fenster gerissen hatte. Er schnupperte an seinen hageren, sehnigen Händen und sagte mit Genugtuung: »Ausgezeichnet. Also auch Ataxie.«
»Meinen Sie zerebellare Ataxie, Herr Doktor?«
»Das wohl nicht. Jedenfalls läßt sich das nicht auf diese Weise feststellen. Abulie. Gleich werden wir sehen.« Kauters riß ein Blatt aus seinem Notizblock, zeichnete aus freier Hand einen Kreis und hielt Rabiewski den Zettel hin. »Was ist das?«
»So ein Teil …«, erwiderte der Ingenieur nach längerem Überlegen. Seine Stimme klang wehleidig.
»Ein Teil wovon?«
»Von einer Drahtrolle.«
»Na, bitte!«
Stefan berichtete über den Vorfall mit dem Hörrohr. Kauters rieb sich die Hände. »Tadellos! Witzelsucht. Wie es im Buche steht, nicht wahr? Ich bin überzeugt, daß wir da ein nettes Tumörchen im Stirnlappen haben. Das wird sich zweifellos bestätigen. Bitte, Herr Kollege, halten Sie Ihre Beobachtungen genau fest.«
Der Kranke lag rücklings auf dem Wachstuchsofa, die weit geöffneten Augen zur Decke gerichtet. Er atmete hörbar mit geblähten Lippen und ließ seine langen, gelben Zähne sehen.
An demselben Abend bekam Stefan Fieber, verbunden mit Kopf- und Gliederschmerzen. Er nahm zwei Aspirin.
Staszek, der sich ausnahmsweise einmal bei ihm blicken ließ, brachte obendrein ein Viertelliter Sprit, der würde ganz gewiß helfen. Trotzdem hielten der Erschöpfungszustand, der Schüttelfrost und das abendliche Fieber noch vier Tage an. Erst am fünften konnte Stefan aufstehen. Nach dem Frühstück begab er sich sogleich in Rabiewskis Zelle, begierig zu erfahren, wie es ihm ginge. Er fand erhebliche Veränderungen vor. Das gewöhnliche Krankenbett hatte einem Spezialbett Platz gemacht, das oben und an den Seiten mit Schnurnetzen versehen war. Herabgelassen, bildeten sie einen Käfig von vierzig Zentimeter Höhe, in dem der Ingenieur, aufgedunsen am ganzen Körper, wie ein Fisch im Netz lag. Kauters stand über das Bett gebeugt und betrachtete ihn mit großer Aufmerksamkeit, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, denn der Gefesselte versuchte, ihm ins Gesicht zu speien, und die dicken Stricke über seinem Mund troffen schon von weißem Schaum.
Der Chirurg setzte die Brille ab; so konnte Stefan seine Augen zum erstenmal ohne Gläser sehen. Vorgewölbt, glanzlos dunkel, glichen sie den Augen eines Insekts, wenn man es durch eine Lupe betrachtet.
»Der Tumor wächst«, flüsterte Stefan halb fragend. Der Chirurg schenkte dem keine Beachtung. Er wich zurück, denn es war dem Liegenden gelungen, den Kopf zu drehen und nach ihm zu spucken. Der Ingenieur spannte röchelnd die Muskeln an seinem bewegungsunfähigen Körper.
»Druck auf die motorischen Zonen«, murmelte Kauters.
»Denken Sie an eine Operation, Herr Doktor?«
»Wie? … Nein, heute wird eine Punktion gemacht.«
Gegen Abend schien der Höhepunkt der Hirnreizung erreicht zu sein. Unter dieser Geißel krampften sich die Muskeln des Kranken zusammen und zuckten unter derschweißglänzenden Haut. Das Bettnetz spielte wie ein Saiteninstrument. Stefan kam zweimal mit der Spritze, aber es half nicht viel; erst die Chloralnarkose vermochte den Rasenden eine Zeitlang zu beruhigen. Als der Ingenieur aus der Betäubung erwachte, reagierte er zum ersten Mal seit vielen Stunden auf Licht und murmelte heiser: »Ich weiß … ich bin … Hilfe.«
Stefan überlief es kalt. Nach der Punktion und dem Ablassen der Gehirnflüssigkeit trat eine geringe Besserung ein. Kauters verbrachte ganze Tage in der Isolierzelle, und wenn Stefan erschien, tat er, als wäre er gerade erst gekommen, um die Reflexe zu prüfen. Anfangs wunderte sich Stefan nur, daß der Chirurg so lange zögerte, aber bald bedrückte es ihn, denn mit jedem Tage verringerten sich die Chancen für das Gelingen einer Operation.
Der Reizzustand ging vorüber. Der Ingenieur, blaß und bärtig, konnte schon wieder im Sessel sitzen; nichts erinnerte mehr an den beleibten Mann, den man vor drei Wochen eingeliefert hatte. Allmählich erblindete er. Stefan wagte nicht mehr nach dem Termin zu fragen: Kauters, sichtlich nervös, schien auf etwas zu warten. Rabiewski war sein Lieblingspatient geworden; er brachte ihm Würfelzucker mit und beobachtete geduldig, wie er mampfte und schmatzte, wie er sich an seinem Körper zu orientieren versuchte, indem er Schenkel, Waden und Füße abtastete. Seine Sinne verkapselten sich allmählich,
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