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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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nahm daraufhin selbst eine anständige Prise Tabak, der hart und brüchig war wie Hobelspäne, rollte sie mit seinen dicken Fingern zusammen, tippte mit dem Daumen dagegen und hatte die Zigarette im Handumdrehen fertig. Er schob sie Stefan nur noch zum Anfeuchten hin. Stefan dankte, beugte sich über das Feuerzeug, das Wochihm hinhielt, und hätte sich beinahe die Brauen versengt, wenn der Werkmeister mit der Flamme nicht geschickt ausgewichen wäre. Im ersten Moment glaubte Stefan an dem Rauch ersticken zu müssen; Tränen traten ihm in die Augen, aber er war bemüht, es sich nicht anmerken zu lassen. Woch tat aus Höflichkeit, als sähe er nichts. Mit der gleichen Geschicklichkeit wie zuvor drehte er eine zweite Zigarette, steckte sie in Brand und nahm einen tiefen Zug.
    Sie schwiegen, bis sich der Rauch über ihren Köpfen zu einem bläulichen Schwaden ballte.
    »Sind Sie schon lange in Ihrem Beruf tätig?« begann Stefan das Gespräch, ein wenig unsicher, ob Woch auf diese naive Frage überhaupt reagieren würde; aber es wollte ihm nichts anderes einfallen. Der Werkmeister rauchte weiter, als hätte er die Worte überhört, dann jedoch reckte er entschlossen die Hand aus und hielt sie in gewisser Höhe über dem Fußboden.
    »Als ich so ein kleiner Junge war, mußte ich schon arbeiten gehen. Nein – so klein …«, berichtigte er und senkte die Hand noch ein wenig. »Ja, damals in Malachowice! Strom gab es noch keinen, die Franzosen kamen gerade zum Turbineninstallieren. Mein Meister war ein redlicher Mann. Wenn der einmal loslegte, dann konnte man es oben auf der Rampe hören. Er redete aber niemals leeres Zeug daher, denn unsere Arbeit erfordert viel Verständnis. Es kam nie vor, daß er die Grünschnäbel angeschrien hätte, im Gegenteil, nachsichtig war er und auf ihre Bildung bedacht. Wen er das erste Mal zum Abstauben der Trennschalter in die Hochspannung schickte – damit fängt man nämlich an –, dem zeigte er als Gedächtnisstütze einen Pinsel mit den Abdrücken eines Toten darauf.«
    »Was war das?« fragte Stefan entgeistert.
    »Nun, ein gewöhnlicher Roßhaarpinsel zum Malen. Damitwird der Staub abgefegt. Nur darf dabei kein Strom in den Leitungen sein. Wer das vergißt und die Leitung berührt, spuckt Feuer und ist geliefert. Und von so einem jungen Kerl war ein Pinsel übriggeblieben. Vom Lande ist er gewesen. Gekannt habe ich ihn allerdings nicht, ich war zu der Zeit noch nicht dort. Ja, und der Meister zeigte immer die kohlschwarzen Fingerabdrücke am Stiel. Denn der Ärmste war restlos verkohlt. Bei lebendigem Leibe«, erläuterte Woch, indem er verständnisvoll das Tempo seiner Erzählung für Stefan verlangsamte, der staunend Augen und Ohren aufsperrte.
    »Das ist die einzig richtige Methode. In unsere Arbeit kann man keinen durch bloßes Gerede einführen. Auge und Hand – das ist alles bei uns. Und immer aufpassen. Mir gefiel mein Fach. Und auch der Meister schätzte mich. Nach den ersten leichten Aufgaben durfte ich an schwierigere Sachen heran. Beim Verlegen von Leitungen habe ich zum Beispiel auch gearbeitet; hat mir aber keinen Spaß gemacht. Das ist nichts für mich. Der lange Weg von einem Mast zum anderen, dann das Eisen schleppen, raufklettern, runterklettern, die Freileitungen spannen und immer wieder dasselbe – das muß ja jedem mit der Zeit zum Halse raushängen. Und was machen die Leute? Sie greifen zur Flasche. Aber bei unsereinem ist damit nicht zu spaßen. Ein Fehlgriff, eine falsche Leitung anschließen – krach, und du bist im Jenseits!« schloß Woch gemächlich, beinahe heiter. Er klebte sich die halb abgebrannte Zigarette zwischen die Lippen und bekam auf diese Weise die Hände frei, obwohl er sie augenblicklich gar nicht brauchte.
    »Da war mal ein Kollege von mir, Józef Fijalek. Der hatte nichts weiter im Kopf als die Schnapsflasche. Ich habe nie erlebt, daß er einmal nüchtern zur Arbeit kam. Und sein Reden war überhaupt kein Reden mehr, er lallte bloß noch; aber solange er auf den Beinen stehen konnte, warer ein guter Arbeiter. Wenn’s Lohn gegeben hatte, saß ihm der Geldbeutel locker in der Tasche. In der ersten Monatshälfte konnte man sich keinen besseren Menschen denken, aber in der zweiten war er bösartig wie der leibhaftige Teufel. Eines Tages, kurz nach der Lohnauszahlung, war er verschwunden. Sie suchten und suchten und fanden ihn schließlich im Schalthaus. Da lag er zwischen den Hochspannungssammelschienen und schlief, und nur weil er

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