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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Entschlußlosigkeit überwand. Dieses Vorhaben schlug also wieder einmal fehl.
    In der Bibliothek waren bereits die roten Plüschsesselreihenweise aufgestellt. Als erster erschien Rygier, nach ihm kamen Kauters, Pajączkowski, die Nosilewska und schließlich Krzeczotek. Als alle saßen und erwartungsvoll zu Marglewski aufsahen, der an einem hohen Pult in Papieren kramte, trat Łądkowski ein. Das war eine gelungene Überraschung. Noch in der Tür machte der alte Herr eine Verbeugung, dann ließ er sich in den schweren Sessel fallen, den Maglewski eigens für ihn ganz nahe am Podium bereitgestellt hatte, kreuzte die Arme vor der Brust und erstarrte in dieser Haltung. Stefan, der Staszek für seine Enttäuschung entschädigen wollte, manövrierte so lange mit den Sesseln, bis er die Nosilewska zwischen sich und den Freund genommen hatte. Marglewski verschanzte sich hinter dem Pult, ordnete räuspernd seine Kärtchen und blitzte die Anwesenden mit seiner stahlgefaßten Brille an.
    Sein Vortrag sei – so begann er – eigentlich nur ein vorläufiger Bericht, eine Art Sichtung erst unvollständig ausgewerteten Materials über den spezifischen Einfluß, den gewisse Krankheitszustände der Psyche auf den menschlichen Geist ausübten. Es handele sich um ein Symptom, das man als ein Sichzurücksehnen des Genesenen nach dem überstandenen Wahnsinn bezeichnen könnte. Dies gelte vornehmlich für primitive, unintelligente Typen, denen die Schizophrenie ekstatische Zustände beschere, die sozusagen ihr Innenleben bereicherten; würden solche Patienten geheilt, dann empfänden sie Bedauern darüber und wünschten sich die Krankheit zurück …
    Marglewski sprach mit einem diskreten sardonischen Lächeln, wobei er die Finger fortwährend verschränkte und löste. In dem Maße, wie er zettelraschelnd in sein Thema einstieg, ging er mehr und mehr aus sich heraus. Er verschluckte die Endsilben, warf mit Latein um sich, konstruierte die gewagtesten Sätze, stets in dem Bemühen,nicht abzulesen. Stefan betrachtete interessiert Dr. Nosilewskas schön geschwungene Wadenlinie – sie hatte ein Bein über das andere geschlagen. Eine gute Weile folgte er Marglewskis Ausführungen nicht. Vielmehr ließ er sich von dem wogenden Auf und Ab seiner Stimme einlullen. Da trat der Redner vom Pult weg.
    »Jetzt werde ich Ihnen, werte Kollegen, einen Genesenden demonstrieren, bei dem jenes Sichzurücksehnen nach dem Wahnsinn ganz deutlich erkennbar ist. Bitte!« Er wandte sich energisch der geöffneten Seitentür zu. Ein alter Mann im weinroten Krankenrock trat ein. Der Pfleger hatte ihn bis an die Tür gebracht und wartete nun im Flur; sein weißer Kittel schimmerte aus dem Dunkeln.
    »Kommen Sie bitte näher«, sagte Marglewski mit schlecht gespielter Freundlichkeit. »Sie heißen?«
    »Łuka, Wincenty.«
    »Wie lange sind Sie schon im Krankenhaus?«
    »Sehr … sehr lange. Ein Jahr vielleicht. Ein Jahr ist’s bestimmt.«
    »Was fehlte Ihnen?«
    »Was mir gefehlt hat?«
    »Ja, warum sind Sie hierhergekommen?« fragte Marglewski, mühsam seine Ungeduld zügelnd. Diese Szene berührte Stefan peinlich. Es war offensichtlich, daß Marglewski für jenen Menschen nichts übrig hatte; er wollte lediglich das Geständnis haben, das er brauchte.
    »Mein Sohn hat mich gebracht.«
    Der Alte schlug verwirrt die Augen nieder. Als er sie wieder hob, waren sie verändert. Marglewski leckte sich die Lippen, reckte gierig den Hals und gab, den Blick auf das gelbe Gesicht des Kranken gerichtet, den Zuschauern ein kurzes Zeichen mit der Hand, wie ein Dirigent, der einen Solopart sauber aus einem Instrument herausholt und das Orchester dabei wohl unter Kontrolle behält.
    »Mein Sohn hat mich gebracht«, sagte der alte Mann noch einmal mit fester Stimme, »weil ich … gesehen habe …«
    »Was haben Sie denn gesehen?«
    Der Patient schlenkerte mit den Armen. Sein Adamsapfel rutschte zweimal den mageren Hals hinauf und hinab. Man merkte, daß er nach Ausdrücken suchte. Einige Male hob er zur Veranschaulichung seiner Worte beide Hände halb hoch, aber die Worte blieben ungesagt, und die Geste wurde nicht zu Ende geführt.
    »Ich habe gesehen«, wiederholte er schließlich hilflos. »Ich habe gesehen …«
    »War es schön?«
    »Ja.«
    »Nun, und was haben Sie gesehen? Engel? Den Herrgott? Die Jungfrau Maria?« Marglewski fragte schnell und sachlich.
    »Nein … nein …« Der Mann betrachtete seine blassen Finger und sagte langsam und leise: »Ich bin kein Gelehrter

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