Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
der Tür stand eine Reihe Bücherregale; die Bretter waren in der Mitte durchgebogen unter dem Gewicht der mächtigen Folianten. Fast sämtliche Werke waren schwarz eingefaßt und mit goldenen Aufschriften versehen. Riesige gebundene Exemplare von Fachzeitschriften füllten die unteren Fächer. Wie zur Überraschung dazwischengestellt, leuchtete hie und da ein gelbes oder grünes Bändchen. Schräg zum Fenster stand der Schreibtisch; die ganze vordere Kante war mit einer Mauer von Nachschlagewerken verbarrikadiert. Die Strenge dieser Einöde wurde durch die zahlreichen Teppiche einigermaßen gemildert: Einer breitete sich, dicht wie eine Grasnarbe, rautenförmig vor den beiden aus, ein anderer – wohl ein kleiner Arras – bildete den Hintergrund zu Łądkowskis Silhouette.
    Sie reichten ihm mit untertänigem Murmeln die Hand. Der Professor verstand es, lebhaft zu konversieren, ohneeigentlich Wesentliches zu sagen. Es lief darauf hinaus, daß sie zu ihm gekommen seien, um Rat einzuholen. Er befragte sie unausgesetzt nach ihren Arbeiten und Interessengebieten, natürlich nur vom rein fachlichen Standpunkt aus, sorgsam bemüht, die Zustände im Sanatorium unberührt zu lassen. Er sprach mit ihnen von gleich zu gleich, ohne die geringste Überheblichkeit zu zeigen, und gerade dadurch entstand die große Distanz. Wäre er ihnen mit Herablassung begegnet, so hätten sie mit Stolz parieren können, aber hier war so etwas ausgeschlossen. Stefan fühlte sich noch kleiner, als er ein niedriges Regal entdeckte; zwei Bronzeköpfe standen darauf: Kant und der Neandertaler. Erstaunt stellte er fest, daß sich trotz der Wildheit, die in dem knolligen Urschädel mit den stark gewölbten Augenhöhlen lauerte und die der andere Kopf nicht aufwies, in beiden gleichermaßen eine große, gequälte Einsamkeit widerspiegelte, als vereinten sie in sich Leben und Tod von Generationen.
    An den Wänden hingen Porträts: Lister mit Byronscher Trauer im gesenkten Blick, Pawlow – markant vorgereckter Bart, das Gesicht mit den Zügen eines über die Maßen neugierigen Kindes, und Emile Roux – ein von Schlaflosigkeit zermürbter Greis.
    Als der Professort glaubte, die Jungen hätten ihre Zeit nun abgesessen, arrangierte er unerhört taktvoll einen Austausch von Verbeugungen und einen kurzen, aber warmen Händedruck. Recht verlegen fanden sie sich beinahe gegen ihren Willen im Korridor wieder.
    »Verflucht! Ein großer Mann!« sagte Stefan nachdenklich. Er hatte nicht übel Lust zu einer großen Diskussion von der Art, wie sie die Fundamente der Welt erschüttern, aber sein Partner enttäuschte ihn. Die Elastizität und Energie, die Krzeczotek vor Łądkowski an den Tag gelegt hatte, war wie weggeblasen. Es hatte den Anschein, alshätte er sein Mißgeschick für die Dauer des Besuches vor der Tür des Professors gelassen und lese es nun wieder auf. Dr. Nosilewska plagte ihn wie nie zuvor. Braungebrannt, gleichgültig höflich, begegnete sie seinen tragischfragenden Blicken mit einem unverbindlichen Lächeln, stets Arzt, bereit, sein Erröten als Blutandrang zum Kopf und sein Herzklopfen als das Symptom von Magendrücken zu werten. Mit Weiblichkeit geladen wie ein Akkumulator, peinigte sie ihn durch jede ihrer Bewegungen. Er wagte indessen nicht, sich ihr zu erklären: Sein Schweigen schenkte ihm das bißchen Hoffnung, das im Ungewissen liegt. Stefan stand ihm als aktiver Tröster mit Prinzipien bei. Er übte diesen Dienst gewissenhaft aus und ergötzte sich zuweilen sogar an seinen Finessen. So quälte er den Freund manchmal, wenn er zum Beispiel nach irgendeinem Geständnis in lärmendes Lachen ausbrach oder ihm auf die Schulter klopfte. Aber gleich zügelte er seinen Übermut.
    Der Juli flatterte vom Kalender. Die Augusttage fielen wie heiße Goldrenetten in eine kurze, prunkvoll gestirnte Nacht. Eines Abends – es hatte gerade ein Gewitter gegeben, und die Bäume, von Donnerschlägen geschüttelt, hatten sich wieder beruhigt und ragten nun schwer vor Nässe in die Dämmerung – erschien Marglewski bei Stefan und kündigte höchst feierlich an, er habe einen Vortrag organisiert, aus welchem Anlaß auch Patienten vorgeführt würden. »Es wird sehr interessant werden«, versicherte er. »Im übrigen möchte ich den Ereignissen nicht vorgreifen. Sie werden sich ja selbst überzeugen können, Kollege.« Und gerade an diesem Abend hatte Stefan die Nosilewska eingeladen, da er erreichen wollte, daß Staszek endlich seine unerträgliche

Weitere Kostenlose Bücher