Das Hospital der Verklärung.
unglücklich zu sein vermag. Glauben Sie etwa, daß nach diesem Krieg all die Achillese aus den Wäldern auf der Stelle Catos werden? Die Furien waren ja auch nicht besser als Sie, aber denen kann ich es wenigstens nachfühlen, das waren doch Weiber. Lassen Sie mich endlich in Ruhe!«
Stefan trollte sich wie ein begossener Pudel. Das geschieht mir recht, dachte er im Flur. Um alles in der Welt hätte er jetzt einen Blick in das Schalthaus werfen mögen. Da der Strom nicht gesperrt war, mußte jemand dort sein und Woch vertreten. Vielleicht konnte ihm der etwas sagen …?
Vor seinen eigenen Gedanken auf der Flucht, war Stefan in den äußersten Winkel der Männerstation gelangt. Einige rötliche Flecke auf dem Fußboden fesselten seine Aufmerksamkeit. Aber Blutflecke waren das nicht, stellte er nach genauerer Betrachtung fest.
Ein jugendlicher Schizophrener modellierte eine Plastik in Ton. Stefan sah ihm lange zu. Das Gesicht des Jungen verriet keine Regung; gelblich, ein wenig schief, mit kleinem, scharf gezeichnetem Profil, glich es einer beweglichen Maske. Zuweilen schloß er ganz langsam die Augen, nicht einmal die Wimpern zitterten dabei, und ließ, den Kopf hoch erhoben, die Kuppen seiner Sperberfinger über den Ton gleiten. In seinen herabhängenden Mundwinkeln sammelte sich Ruhe. Schon quälten ihn keine Visionen mehr; die Sätze zerfielen ihm im Munde, er konnte sich nicht mehr verständigen und enteilte in sein Inneres. Nur die höchste Gleichgültigkeit, wie sie in einer Menschenmenge und bei Bewußtlosen vorkommt, machte es möglich,daß sich der Junge dieser einsamen Beschäftigung widmete. Auf einem runden Schemel ragte vor ihm ein Engel mit hochgereckten Flügeln aus der flachen Tonscheibe. In seinen Schwingen, die weit gespreizt waren wie bei einem erdrosselten Vogel, schien etwas Drohendes zu lauern. Er hatte ein gotisch langes, unbewegliches, schönes Gesicht. Mit tief herabhängenden Händen, gleichsam wider Willen, würgte er ein kleines Kind.
»Was soll das sein? Wie hast du es genannt?« fragte Stefan den Jungen.
Der antwortete nicht, sondern rieb mit der Daumenspitze den Ton glatt. Da mischte sich der Pfleger Józef der Ältere aus seiner Ecke ins Gespräch: Die Patienten müßten den Ärzten immer Rede und Antwort stehen. »Wirst du wohl antworten, wenn der Herr Doktor dich was fragt«, sagte er und stapfte schwer auf den Jungen zu.
Er pflegte so forsch auf die Kranken zuzugehen, daß sie ihm ausweichen mußten. Aber der Kleine stand starr auf seinem Fleck.
»Ich weiß ja, du kannst es. Nun red schon, oder diese Puppe ist hinüber!« Er machte eine Bewegung, als wollte er die Statue umwerfen. Der Junge verharrte in seiner Reglosigkeit.
»Aber, aber«, sagte Stefan verwirrt, »das ist doch nicht nötig, Józef. Gehen Sie bitte mal ins Dienstzimmer und bringen Sie eine Spritze und zwei Ampullen Skophetal, die Schwester wird es Ihnen aushändigen.«
Er wollte dem Kleinen die erlittene Schmach irgendwie entgelten.
»Weißt du, das hast du wirklich sehr hübsch gemacht«, meinte er, »eigenartig, aber sehr hübsch.«
Der Kranke stand gebückt, die Haare klebten an der schweißnassen Stirn. Ein Anflug von Verachtung schien um seinen Mund zu spielen.
»Ich begreife das zwar nicht ganz, aber vielleicht wirst du mir’s irgendwann einmal erklären«, fuhr Stefan fort, indem er sich allmählich vom Boden der Psychiatrie entfernte.
Der Junge schaute glasigen Blickes auf seine mit dunklem Ton beschmierten Finger.
Völlig ratlos, streckte ihm Stefan ganz einfach die Rechte hin. Diese Geste schien den Jungen erschreckt zu haben, er verbarg seine Hand und wich hinter den Schemel zurück. Stefan sah sich beschämt um, ob außer den Kranken nicht noch jemand im Saal war. Da tauchte der Kleine ganz plötzlich und so ungeschickt hinter seiner Plastik hervor, daß er sie beinahe umgestoßen hätte, und ergriff Stefans Hand. Ohne sie gedrückt zu haben, ließ er sie los, als hätte er sich verbrüht. Dann wandte er sich wieder seiner Statuette zu und beachtete den Arzt nicht mehr.
Tags drauf wurde Stefan, als er durch den Saal ging, von Józef angesprochen: »Wissen Sie, Herr Doktor, wie das Tongebilde da heißt?«
»Was? Ach so! Nun?«
»Der Würgeengel.«
»Wie?«
Józef wiederholte.
»Ist ja interessant«, meinte Stefan.
»Von wegen interessant. Beißen tut der Lümmel!« Józef zeigte die roten Male auf seiner riesigen Faust. Das wunderte Stefan, kannte er doch alle die geübten Griffe der
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