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Das Hotel

Das Hotel

Titel: Das Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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holte seinen Koffer und Deb ihre Tasche heraus. Sie dachte wahrscheinlich gerade dasselbe wie er: Man konnte sich in dieser Dunkelheit nur mit Hilfe der Autoscheinwerfer umziehen. Sie beobachtete Mal für einen kurzen Augenblick und sah, dass er zögerte – unsicher, was er als Nächstes tun sollte. Also zog sie ihr blutbesudeltes T-Shirt aus und entblößte damit ihren neonfarbenen Sport-Büstenhalter.
    » Möchten Sie vielleicht etwas Privatsphäre?«, erkundigte er sich.
    Deb lockerte ihre Jogginghose. » Beim Wettkampf trage ich immer einen Bikini. Sie werden also nichts anderes sehen als beim Triathlon auch.«
    Sie lehnte sich mit dem Po an den Kotflügel und zog dann die Hose herunter. Es war schwierig, sie über die Prothesen zu bekommen, weswegen sie den Schlagreißverschluss stets offen trug. Als sie fertig war, stand sie nur noch in ihrem Büstenhalter und Slip da und wartete darauf, dass Mal ihre Prothesen anstarrte.
    Stattdessen glotzte er auf ihre Brüste, und sie fühlte sich plötzlich herrlich normal. Sie versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken und holte eine Flasche Wasser und ein Handtuch aus dem Kofferraum, während Mal sein Hemd aufknöpfte. Deb wusch sich so gut es ging, und als sie wieder zu Mal blickte, trug er nur noch Boxershorts. Es war offensichtlich, dass er seinen Körper ordentlich trainierte.
    » Können Sie mir eine Flasche Wasser rüberwerfen?«
    Sie betrachtete seinen gestählten Körper und wollte ihn fast fragen, ob er Hilfe brauchte. Aber das wäre nicht wirklich angebracht gewesen, insbesondere nach dem, was sie gerade durchgemacht hatten. Also entschied sie sich für eine etwas banalere Frage.
    » Laufen Sie?«
    » Ja. Aber nicht so wie Sie. Ich habe noch nie an einem Wettkampf teilgenommen. Und nach mehr als acht Kilometern wird mir ganz anders.«
    » Das geht jedem so. Das ist, als wenn man die Schallmauer durchbrechen würde. Da muss man durch.«
    » Und das ist der Grund, warum Sie Athletin sind und ich Reporter. Sobald ich mich der Schallmauer nähere, werfe ich mich zu Boden und fange kläglich zu wimmern an.«
    » Ich auch, aber erst nach dem Rennen.«
    Deb nahm einen großen Schluck aus der Flasche und goss den Rest des Wassers über ihre künstlichen Beine. Im Gegensatz zu ihren Sportprothesen waren diese fleischfarben, hatten die Form von richtigen Beinen und besaßen eine Latexhaut. Das Gestell bestand aus Titan sowie komplizierten Feder- und Gelenkmechanismen, welche als Knie und Knöchel dienten. Ihre Sportschuhe, die bis über die Knöchel gingen, waren eine Extraanfertigung, die an die Enden geschnallt wurden. Ab und zu spielte Deb mit dem Gedanken, sich Schuhe mit hohen spitzen Absätzen zuzulegen. Sie vermisste hohe Absätze. Aber das Gehen war schon schwierig genug, ohne auch noch auf sieben Zentimeter hohen Stelzen balancieren zu müssen.
    Außer den fleischfarbenen Klettbändern unter ihren Knien, an denen die Prothesen befestigt wurden, sahen die Beine echt aus, selbst aus der Nähe. Allerdings verschmutzten sie sehr leicht, und es war eine Heidenarbeit, sie wieder zu reinigen. Das getrocknete Blut erwies sich als besonders widerspenstig, und Deb befürchtete, dass sie den Naturkautschuk beschädigte, wenn sie zu hart daran rieb.
    » Vielleicht hilft das hier«, sagte Mal und zauberte eine Flasche Wodka aus seinem Koffer.
    » Sieht so aus, als hätten Sie ebenfalls an alles gedacht«, erwiderte Deb.
    » Ich bin viel unterwegs und hasse es, zwölf Dollar für einen Martini an der Hotelbar hinlegen zu müssen.«
    » Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es etwas hilft, sich jetzt zu betrinken.«
    Er schüttelte den Kopf, kam zu ihr herüber und kniete sich vor sie hin. » Erlauben Sie?«, fragte er.
    Das ließ sich Deb nicht zweimal fragen. Sie beobachtete ihn, wie er etwas Alkohol auf ein sauberes Handtuch gab und begann, ihre Prothese damit abzureiben. Für einen kurzen Augenblick glaubte sie, seine Berührung spüren zu können. Ihr Gehirn ordnete Mals Berührungen lange zuvor abgespeicherten Empfindungen zu. Sie zitterte, redete sich aber ein, dass es an dem kalten Wind lag.
    » Danke. Ich glaube, ich mache jetzt weiter«, sagte sie und streckte die Hand nach dem Wodka aus.
    Mal sah aus, als ob er ihr einen Heiratsantrag machen wollte – etwas, von dem Deb wusste, dass sie es nie erleben würde. Die Nähe und die Schmetterlinge in ihrem Bauch verwandelten sich rasch in Verbitterung. Verbitterung sich selbst, aber auch ihren Beinen und Mal gegenüber.

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