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Das Hotel

Das Hotel

Titel: Das Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ihn an. » Können Sie das? Können Sie das wirklich? Ich lag auf dem Bauch, Beine und Arme weit von mir gespreizt, und versuchte, irgendwo Halt zu finden, um nicht über den Vorsprung zu fallen. Aber der Felsen war aalglatt. Mir war, als ob ich auf Glas rutschen würde. Ich glitt ganz langsam abwärts, langsamer als ein Kind eine Rutsche hinunterrutscht. Aber ich konnte nichts dagegen tun. Wissen Sie, sechs Sekunden sind normalerweise nichts. Ich rede jetzt schon länger als sechs Sekunden. Aber als ich dort Richtung Vorsprung schlitterte, hatte ich Zeit, nachzudenken, und ich dachte über meinen Tod nach und was das bedeuten würde.«
    Mal lehnte sich zu ihr. » Und was würde das bedeuten?«
    Deb starrte auf die Straße und in die Schwärze der Nacht, die sich vor ihr auftat. Sie erzitterte.
    » Nichts. Ich würde für nichts und wieder nichts sterben.« Sie lachte kurz und angespannt. » Mein ganzes Leben würde nur einen Sinn ergeben: nachfolgenden Kletterern als Mahnmal dienen, Felshaken zu benutzen.«
    » Sie sind ohne Felshaken geklettert?«
    » Ich war gerade dabei, den ersten in den Fels zu hämmern, als … als der Fels aufbrach.«
    Mal machte sich eine Notiz.
    » Können Sie mir erzählen, was nach dem Sturz passierte?«
    Ihre Erinnerung war verschwommen. Es kam ihr vor, als ob sie einen Traum nacherzählen sollte. Oder eine Halluzination. Manche Bereiche hingegen waren glasklar, als ob man sie mit einem Brandeisen in ihren Kopf gesengt hätte.
    » Zuerst tat es gar nicht weh. Ich weiß noch, wie ich aufwachte. Ich wusste nicht, wo ich war. Dann sah ich meine Beine, wie sie nach hinten abknickten. Zunächst dachte ich, ich hätte zwei Extraknie, und die Knochen stachen aus der Haut heraus. Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe sogar versucht, einen herauszuziehen. Es sah aus, als ob ich auf einem Stock gelandet wäre. Aber es war kein Stock, es war mein Schienbein. Ich habe versucht, mein Schienbein herauszureißen.«
    Mal räusperte sich. » Das ist … Das ist furchtbar.«
    » Ich stand unter Schock und verspürte keinerlei Schmerzen. Aber dann fing ich zu krabbeln an, und das war wirklich schrecklich.«
    » Weil der Schmerz einsetzte?«
    » Und wie er einsetzte! Als ich mich zum Auto schleppte, blieb ich mit den Schienbeinknochen immer wieder hängen. An Steinen oder Zweigen. Für ungefähr hundert Meter schleppte ich ein totes Eichhörnchen mit.«
    Deb konnte sich noch gut an das Kriechen erinnern. An den Schmerz, an das Entsetzen, an die Verzweiflung, denn sie wusste, dass das Schlimmste noch kommen würde, wenn sie das Auto erreicht hatte. Deb hoffte, dass Mal nicht danach fragte.
    » Und ich verlor ständig Blut. Mir wurde schwindlig. Ich riss mein Hemd in Fetzen und schnürte meine Beine ab, um den Blutfluss zu stemmen, aber ich hinterließ trotzdem eine Spur aus Blut. Es dauerte nicht lange, ehe Tiere auf mich aufmerksam wurden.«
    Mal blickte von seinem Notizblock auf. » Kojoten? Oder etwa Bären?«
    Deb erzitterte erneut. Ihr war jetzt richtig kalt. » Ein Kuguar.«
    » Ich wusste gar nicht, dass es in West Virginia Berglöwen gibt.«
    » Er ist mir gefolgt und kam ganz nah an mich heran. Zuerst dachte ich, er wäre eine Halluzination. Er war riesig und muss um die zwei Zentner gewogen haben.«
    Deb konnte sich noch gut daran erinnern, wie er sie angestarrt und die Zähne gefletscht hatte. Sie würde nie seinen beißenden, penetranten Geruch vergessen. Oder seinen abgeknickten Schwanz, der sie an ein Z denken ließ.
    » Hat er Sie angegriffen?«
    Unbewusst fuhr sie mit einer Hand an die Narben. Die Raubkatze hatte sie angesprungen, sie mit ihrer riesigen Tatze geschlagen und mit ihren Krallen aufgerissen – mehrmals. Der Berglöwe hatte mit ihr gespielt, sich viel Zeit gelassen. Zwischen den Attacken hatte er sich sogar hingelegt und geputzt, aber er war jeder ihrer Bewegungen mit seinen harten, gelben Augen genau gefolgt.
    » Er hat mich wie eine Maus behandelt. Er ließ mich ein paar Meter kriechen, holte mich dann aber wieder zurück. Als ob es ein Spiel wäre.«
    » Und wie haben Sie es geschafft, zu fliehen?«
    » Ich gab auf. Irgendwann hatte ich genug und schloss die Augen. Ich wartete darauf, dass er mich tötete. Aber das geschah nicht. Vielleicht hatte er gerade gefressen. Als ich die Augen wieder aufmachte, war er verschwunden. Also robbte ich weiter in Richtung Auto.«
    » Wie sind Sie gefahren? Ich meine, Sie konnten Ihre Beine ja nicht mehr benutzen, oder?«
    Vielen Dank der

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