Das Hotel
Dafür, dass er es wagte, sie wie einen normalen Menschen zu behandeln.
Scott, ihr Ehemaliger, hatte nicht gut auf den Verlust ihrer Beine reagiert. Es hatte ihn stark mitgenommen, und er war nach den Amputationen nicht mehr derselbe gewesen. Einen Tag lang behandelte er sie wie eine zerbrechliche Zuckerpuppe, und am nächsten tat er so, als ob sie völlig entstellt wäre. Als sie einmal kurz davor waren, miteinander zu schlafen, hatten sie seine Kommentare derart verletzt, dass sie ihm kurzerhand den Laufpass gab. Das war das letzte Mal gewesen, dass sie mit einem Mann zusammen war.
Irgendwann hatte sie sich dann wieder zum Ausgehen verabredet. Das war bereits nach der Reha gewesen, durch die sie sich alleine gekämpft hatte. Debs Erfahrungen nach konnte man Männer in zwei Gruppen einteilen: in solche, die wünschten, dass sie Beine hatte, und in schräge Vögel, die Frauen ohne Beine sexy fanden. Deb hatte den Fehler begangen, einem Amputierten-Forum und kurz darauf einer Partnervermittlung im Internet beizutreten. In beiden Fällen war sie stets auf letzteren Typus gestoßen.
Die Tatsache, dass Mal sie wie eine normale Frau behandelte, brachte sie völlig aus dem Konzept.
Deb war nicht normal. Sie würde es auch nie sein. Und wenn er nicht bald damit aufhörte, sie so anzulächeln, würde sie ihm eine kleben.
» Ich habe doch gesagt, dass ich allein weitermache, Mal. Lassen Sie mich jetzt.«
Er hob entschuldigend beide Hände und zog sich zurück.
Deb nahm einen großen Schluck Wodka und spürte, wie er in ihrer Kehle brannte, ehe er sich wie ein Feuerball in ihrem Magen sammelte.
Verdammt – warum muss er so süß sein? Und auch noch so nett?
Sie goss etwas Wodka auf das Handtuch und machte sich erneut an die Arbeit. Der Alkohol war ideal, um das Blut zu lösen. Er entfernte selbst das verklumpte Zeug unter ihren Fingernägeln. Zum Glück, denn immerhin hatte sie hundert Dollar für die Maniküre bezahlt. Trotzdem konnte sie es kaum erwarten, endlich diese bescheuerte Pension zu finden, um ein Bad nehmen zu können.
Deb hoffte inbrünstig, dass sie ein Zimmer mit Bad bekommen würde. Duschen waren nicht so ihr Ding.
Mal schien ihre Zurückweisung nicht weiter zu stören. Er hüpfte auf einem Bein durch die Gegend, während er seine Jeans anzog. Deb entschied sich für eine Nylonhose in der Art, wie Basketballspieler sie tragen. Sie hatte Druckverschlüsse an den Seiten und konnte rasch ausgezogen werden. Für die meisten war das vielleicht eher Show, aber bei Deb hatte es ganz elementare Vorteile.
» Gehen Sie auch klettern? Ich meine, haben Sie es nach dem Unfall mal wieder versucht?«
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. » Gehört das bereits zum Interview?«
Mal knöpfte das Hemd zu. Wieder ein hellblaues. » Ich dachte, wir hätten drei Themen, über die wir reden können. Erstens den Hirschen.«
Deb schüttelte den Kopf. » Ich glaube, das dauert noch etwas, bis ich so weit bin.«
» Mir geht es genauso. Bleibt also noch das Interview oder etwas Persönliches. Und ich nehme an … Also so, wie Sie mich zurückgewiesen haben, glaube ich, dass Sie keine Lust auf eine persönliche Annäherung haben.«
Deb schraubte die Wodkaflasche zu und warf sie ihm vielleicht etwas zu hart zu. » Nein. Seitdem ich meine Beine verloren habe, bin ich weder in die Berge gegangen noch Klippen hochgekraxelt.«
Sie erzitterte erneut. Diesmal war sie sich sicher, dass es die kühle Nachtluft war. Sie zog ein Kapuzensweatshirt aus ihrer Reisetasche und zog es über.
» Fällt es Ihnen schwer, über den Unfall zu reden? Geht es überhaupt?«
Deb glaubte in seiner Stimme eine unterschwellige Herausforderung zu hören, und sie entspannte sich ein wenig.
» Nein, das fällt mir ganz und gar nicht schwer.«
Das Einzige, was mir hier zu schaffen macht, ist dein verdammtes Flirten.
Sie warf das nasse, blutige Handtuch und die leere Wasserflasche in den Kofferraum und wartete, bis Mal seinen Koffer neben ihre Laufprothesen gelegt hatte.
» Sie haben drei verschiedene Prothesen hier drinnen«, meinte Mal. » Wozu brauchen Sie die alle?«
Eine einfache Frage, die ihr häufig gestellt wurde.
» Also – diejenigen, die so ähnlich wie zu Fragezeichen gebogene Skier aussehen, sind meine Cheetah-Flex-Sprints. Sie sind aus Kohlefaser und genau wie die Beine einer Gazelle nach hinten geformt. Dadurch ist ihre Energieübertragung besser als die menschlicher Knie und Knöchel.«
Er griff bereits nach einer der
Weitere Kostenlose Bücher