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Das Hotel

Das Hotel

Titel: Das Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Er ist direkt vor mir.
    » Ich kenne viele Spiele. Ich habe noch nie mit einem Krüppel gespielt. Du hast keine Beine, genau wie ich. Ich muss dich nicht einmal festbinden, um Kinder zu machen.«
    Er kam näher. Sie konnte ihn nicht sehen, spürte jedoch seinen Körper und seine Wärme.
    Kann auch er meine Nähe spüren?
    » Vielleicht lässt Mamma uns heiraten und backt uns einen großen Hochzeitskuchen.«
    Er ist so nah.
    Deb konnte seinen warmen Atem spüren. Er strich ihr über das Gesicht wie die stinkende sommerliche Brise einer Müllhalde. Sie neigte sich zur Seite, drehte den Kopf und machte sich vor Angst, der Boden könne knarzen und ihre Position verraten, beinahe in die Hose.
    Ich kann ihn nicht sehen. Das bedeutet, dass er mich auch nicht sehen kann. Also Ruhe bewahren.
    » Willst du mich heiraten, Debbie?«
    Teddy war jetzt nah genug, um sie küssen zu können. Er musste also genau wissen, wo sie sich befand. Schweißperlen rannen ihr die Stirn hinunter und brannten ihr in den Augen. Sie schloss die Lider und betete , dass er einfach wieder verschwinden würde.
    » Teddy und Debbie sitzen in ’nem großen Bus und geben sich ’nen Ku…«
    Deb schlug zu, ehe er das Wort zu Ende sprechen konnte. Sie formte ihre Hand zu einer Kralle und fuhr ihm mit ihrer Einhundert-Dollar-Maniküre über das Gesicht. Er kreischte auf, und Deb robbte so schnell sie konnte an ihm vorbei. Dabei knallte sie mit dem Kopf gegen den Balken, hielt aber trotzdem nicht inne, bis sie eine kühle Brise verspürte. Ein Luftstrom. Bedeutete er vielleicht einen Ausgang? Deb hielt an und versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung er kam. Dann krabbelte sie darauf zu.
    » Die Hochzeit kannst du abschreiben, Scheißschlampe!«
    Er war jetzt direkt hinter ihr. Deb legte noch einen Zahn zu, bis sie zu einer Wand kam. Dort versuchte sie erst nach links und dann nach rechts auszuweichen, stieß aber nur gegen Wände.
    Eine Sackgasse. Ich bin tot. Ich …
    Dann berührte sie etwas Festes. Es kam ihr irgendwie bekannt vor. Eine Stufe. Die Stufe einer Leiter.
    Leitern waren Debs Albtraum und einer der wichtigsten Gründe, warum sie nie wieder klettern gegangen war. Wenn sie nicht einmal zehn vertikale Stufen bewältigen konnte, wie sollte sie dann mit einer steilen Felswand fertigwerden?
    Ihre anderen Erfahrungen mit Leitern – selbst kleine Stehleitern – waren stets furchtbar verlaufen, und ausgerechnet ihre Cheetah-Prothesen machten sie zu einem schier unüberwindbaren Hindernis. Die Biegung bedeutete, dass sie ihre Beine nach hinten strecken musste, um eine Stufe bewältigen zu können. Allein die Bewegung ließ sie stets die Balance verlieren.
    » Hab dich!«
    Teddy packte sie am Schenkel. Sein Griff war stählern, seine Finger tasteten ihre Muskeln ab und streichelten sie vertraulich.
    Deb schrie auf und rammte ihm dann mit aller Wucht den angewinkelten Ellenbogen ins Gesicht.
    Teddy grunzte und ließ sie los. Sie trat nach hinten aus und spürte, wie ihre Cheetah-Prothese an ihm abfederte. Er schlug sie so hart beiseite, dass sie beinahe von ihrem Bein gelöst wurde.
    Er ist zu schnell und zu stark. Und ich kann nirgendwohin fliehen.
    Ich muss die Leiter nehmen.
    Deb zog sich mit dem Oberkörper die ersten vier Stufen hoch. Es war vollkommen finster, sodass sie sich auf ihren Tastsinn verlassen musste. Mit beiden Händen ergriff sie eine Sprosse, tat einen Klimmzug, hielt sich mit einem Arm fest, fasste nach der nächsten Sprosse und begann von vorn.
    Ziehen.
    Strecken.
    Greifen.
    Ziehen.
    Strecken.
    Greifen.
    Sobald sie einen gewissen Rhythmus gefunden hatte, ging es schneller. Auch hörte sie Teddy nicht mehr hinter sich. Vielleicht …
    Er hat mein Bein!
    Deb war gerade mitten im Klimmzug und strengte sich so sehr an, dass ihre Arme zu zittern anfingen, als es nicht mehr vorwärtsging.
    Er wird mich wieder hinunterziehen. Wie lange kann ich mich noch festhalten?
    Sie hielt sich mit einem angewinkelten Arm an der Sprosse fest und wartete darauf, dass er zog.
    Doch Teddy zog nicht.
    Warum nicht?
    Deb lachte beinahe hysterisch auf, als sie begriff, was tatsächlich passiert war.
    Das ist nicht Teddy. Meine Prothese hat sich verhakt.
    Die Biegung der Cheetahs glich einem Haken, und die Prothese war irgendwo hängen geblieben. Deb ließ sich einige Zentimeter hinunter, drückte den Rücken durch und befreite ihr Bein.
    Doch jetzt war der Adrenalinstoß vorbei, und ihre Arme konnten nicht mehr. Sich weiter nach oben zu hieven, kam

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