Das Hotel
Tatsache, dass sie nicht wenigstens gleich lang waren. So kam sie sich noch entstellter vor. Um das Ganze einen weiteren Tick höher auf der Richterskala der Scheußlichkeiten anzuordnen, wiesen beide Beine lange, hässliche Narben von der Operation und dem Berglöwen auf. Außerdem war es an der Zeit, sich mal wieder zu rasieren.
Oh Gott , dachte Deb. Ich bin ein Monster.
Das dachte sie immer, wenn sie ihre Stumpen betrachtete.
Die Haut unter den Knien war schrumpelig und rot. Das Silikonkissen diente als Polster, aber Deb schwitzte so sehr, dass sie unter Schweißbläschen litt. Eine Alternative wären Socken aus normalem Material gewesen, die den Schweiß aufsogen, aber leider saßen die Prothesen dann nicht fest genug. Deb wollte auf jeden Fall verhindern, dass ihr aus Versehen ein Bein abfiel. Dennoch musste sie früher oder später eine Lösung finden, denn selbst die besten schweißhemmenden Mittel brachten auf Dauer nicht viel.
Sie legte das Handtuch über ihre Beine und rubbelte diese trocken, ehe sie die Muskeln massierte.
Für einen Sekundenbruchteil stellte sie sich vor, dass Mal es war, der sie massierte. Mal.
Der Tagtraum endete abrupt, als Mal bei ihrem Anblick zu würgen begann und wegrannte.
Du … Du bist grotesk.
Ja, das bin ich. Und es ist meine eigene verdammte Schuld.
Deb stand kurz davor, sich in einen See aus Selbstmitleid zu werfen, aber sie war viel zu müde, um sich auch noch dafür zu hassen.
Stattdessen gähnte sie und schaltete das Licht auf dem Nachttisch aus. Im Zimmer war es stockfinster, und Deb vergrub das Gesicht in dem Roosevelt-Kopfkissen, bereit, sich dem Schlaf hinzugeben.
Kurz darauf hörte sie ein Knarzen.
Als ob jemand ans Bett kommen würde.
Sie riss die Augen auf und tastete mit einer Hand nach dem Lichtschalter.
Im Zimmer war niemand außer ihr.
Sie wartete, bis ihr Adrenalinausstoß abgeklungen war. Jetzt war alles wieder still. Niemand schlich sich durchs Zimmer, niemand näherte sich ihr.
Okay. Alte Häuser knarzen eben. Kein Grund, gleich auszuflippen. Die Tür ist verschlossen. Ich bin allein. Ich muss jetzt schlafen.
Sie schaltete das Licht wieder aus und legte den Kopf auf das Kissen.
Knarz.
Diesmal ist es viel näher.
Erneut schaltete sie das Licht an und setzte sich auf. Außer ihr war niemand im Zimmer. Ob es für die Geräusche eine plausible Erklärung gab? Vielleicht stammten sie aus dem Zimmer unter ihr? Oder von nebenan? Oder vielleicht dachte sie nur, dass es sich um Schritte handelte?
Aber es klang nicht so, als ob das Geräusch aus einem anderen Zimmer stammen würde.
Diesmal wartete sie länger und hoffte, dass sie die seltsamen Laute auch bei Licht hören würde.
Doch wieder herrschte Totenstille.
Deb legte sich hin, ließ das Licht aber brennen. Falls es erneut knarzen sollte, würde sie schon sehen, was es war.
Will mich jemand ärgern?
Aber wer? Ich bin doch allein.
Nach einer Weile schloss sie die Augen. Sie ließ ihre Gedanken driften. Es dauerte nicht lange, ehe sie bei Mal angelangt waren. Süßer Typ. Offensichtlich interessiert an ihr. Jetzt musste Deb nur noch mit sich selbst zurechtkommen und dann sehen, wie sich die Sache entwickelte. Wenn sie nur nicht immer alles hinterfragen und nicht zehn Schritte im Voraus alle Möglichkeiten überdenken würde, könnte sie sich vielleicht …
Knarz.
Sie riss die Augen auf.
Das Knarzen schien direkt von unter ihr zu kommen.
Langsam beugte sie sich über die Kante und schaute unter das Bett. Sie erwartete beinahe, dort einen maskierten Psychopathen vorzufinden.
Doch sie sah nichts, und das war schlimmer.
Meine Prothesen sind verschwunden.
Deb hatte sie neben dem Bett liegen gelassen – dessen war sie sich sicher. Sie schaute auf den Nachttisch, auf dem die Silikonkissen lagen.
Verliere ich jetzt den Verstand? Habe ich sie vielleicht auf die andere Seite gelegt?
Sie rollte herum und blickte über die Kante.
Unter ihr waren lediglich Dielen.
Jemand hat meine Prothesen weggenommen.
Dann bewegte sich das Bett. Nur ein bisschen, aber sie wusste, was passierte.
Derjenige, der sich meine Prothesen genommen hat, liegt unter dem Bett.
Sie starrte auf den Einbauschrank. Dort befanden sich in der Tasche noch ihre kosmetischen Beinverlängerungen. Wenn sie es bis zu ihnen schaffte, hätte sie zumindest eine Chance, von hier zu entkommen.
Aber wie? Sich auf den Boden hieven, um dorthin zu kriechen? Das waren mindestens fünf Meter. Das dauerte viel zu lange.
Das Bett
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